Hirnatrophie bei MS: Was im Gehirn passiert
Hirnatrophie, auch als Hirnschwund bekannt, beschreibt den Rückgang von Gehirnsubstanz und -volumen. Jeder Mensch verliert im Laufe des Lebens Nervenzellen, doch dieser altersübliche Verlust verläuft in der Regel sehr langsam und führt im Alltag meist zu keinen spürbaren Einschränkungen, solange er über viele Jahre hinweg gleichmäßig verläuft.
Bei MS hingegen kann dieser Prozess deutlich beschleunigt ablaufen. Bereits zu Beginn der Erkrankung kann eine verstärkte Atrophie einsetzen, häufig ohne, dass Betroffene sofort etwas bemerken. Erst wenn die sogenannte „kognitive Reserve“, also die Fähigkeit des Gehirns, Schäden auszugleichen, stark abnimmt, treten spürbare und bleibende kognitive Symptome auf.
Ursachen für Hirnatrophie und MS-typische Gehirnveränderungen
Hirnatrophie kann durch verschiedene Ursachen entstehen. Der natürliche Alterungsprozess führt zu einer langsamen und stetigen Abnahme des Gehirnvolumens, die bei gesunden Menschen in der Regel keine gravierenden Auswirkungen hat.
Deutlich ausgeprägter verläuft der Hirnabbau jedoch bei bestimmten Erkrankungen. Dazu zählen neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder vaskuläre Demenz, aber auch chronische Schädigungen etwa durch langjährigen Alkoholmissbrauch. Gefäßkrankheiten wie wiederholte kleine Schlaganfälle oder Durchblutungsstörungen können gezielt einzelne Hirnareale schädigen und so die Atrophie beschleunigen. Auch schwere Kopfverletzungen hinterlassen oft dauerhafte Schäden im Nervengewebe und können einen anhaltenden Abbauprozess in Gang setzen.
Bei MS sind vor allem chronische Entzündungen der Grund für den Abbau der Gehirnsubstanz. Entzündliche Schübe und die damit verbundenen Schädigungen an Axonen und grauer Substanz tragen dazu bei, dass das Gehirnvolumen schneller sinkt. Jede Entzündungsaktivität und das wiederholte Eindringen und Abklingen von Abwehrzellen im Gehirn können langfristig dazu führen, dass Nervenzellen absterben und der Hirnabbau fortschreitet.
Folgen: Wenn das MS-Gehirn schrumpft
Wenn Gehirngewebe schwindet, kann sich das in vielen spürbaren Symptomen äußern. Eine der frühesten und bedeutendsten Folgen ist der bereits erwähnte Rückgang kognitiver Fähigkeiten.
Studien belegen, dass MS-Betroffene mit kognitiven Defiziten häufig ein deutlich geringeres Gehirnvolumen aufweisen als jene ohne solche Einschränkungen. So fand eine Studie aus 2009, dass Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen signifikant mehr Hirngewebe verloren hatten, gemessen am „normalisierten Hirnvolumen“, als geistig unbeeinträchtigte Patienten.
Neben den geistigen Funktionen können auch motorische Fähigkeiten betroffen sein. Eine fortgeschrittene Hirnatrophie geht nicht selten mit einer eingeschränkten Bewegungskoordination, Gleichgewichtsstörungen oder Problemen in der Feinmotorik einher.
Darüber hinaus können Veränderungen in der emotionalen Stabilität und im Verhalten auftreten, wenn Atrophie Hirnregionen betrifft, die an der Emotionsregulation beteiligt sind. Besonders bedeutsam ist der Volumenverlust in der grauen Substanz, etwa in der Großhirnrinde oder im Thalamus. Der Thalamus fungiert als zentrales Schaltzentrum für zahlreiche kognitive Prozesse, und Studien zeigen, dass ein Rückgang seines Volumens eng mit Defiziten in Aufmerksamkeit, Gedächtnis und exekutiven Funktionen verknüpft ist.
Insgesamt gilt: Je ausgeprägter die Atrophie, desto deutlicher zeigen sich Einschränkungen im Alltag, von Fatigue über Gedächtnisprobleme bis hin zu spürbaren Leistungseinbußen.
Früherkennung von Hirnatrophie und kognitiven Problemen bei MS
Die frühzeitige Erkennung von Hirnatrophie und kognitiven Einschränkungen ist entscheidend, um gezielt gegensteuern zu können.
Die wichtigste Methode, um Hirnatrophie zu messen, ist die Magnetresonanztomographie (MRT). Mit hochauflösenden MRT-Scans lässt sich das Hirnvolumen exakt bestimmen und über längere Zeiträume hinweg beobachten. Allerdings kann ein MRT allein nicht immer zuverlässig vorhersagen, wie stark jemand kognitiv beeinträchtigt ist. Faktoren wie die „kognitive Reserve“ können dazu führen, dass selbst bei messbarer Atrophie die Leistungsfähigkeit noch vergleichsweise gut erhalten bleibt.
Daher kommen neben der Bildgebung neuropsychologische Tests zum Einsatz. Diese standardisierten Verfahren prüfen gezielt Bereiche wie Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Häufig genutzt wird z. B. der Symbol-Digit-Modality-Test (SDMT). Dieser ist empfindlich genug, um schon leichte Einschränkungen sichtbar zu machen.
Behandlung von Hirnatrophie bei MS und Schutz des Gehirns
Die gute Nachricht: Es gibt wirksame Möglichkeiten, den Fortschritt der Hirnatrophie zu verlangsamen und die geistige Leistungsfähigkeit zu bewahren.
Im Mittelpunkt steht eine frühzeitige, individuell angepasste MS-Therapie, die die Entzündungsaktivität im Gehirn reduziert. Studien zeigen, dass dadurch der Verlust von Hirnvolumen gebremst und kognitive Einschränkungen hinausgezögert werden können. Dabei ist wichtig, dass je früher eine wirksame Behandlung beginnt, desto länger bleibt der „Schatz“ an Nervenzellen erhalten.
Ergänzend dazu können Rehabilitation und gezieltes Training helfen. Kognitive Trainingsprogramme, Gedächtnisübungen und neuropsychologische Unterstützung stärken vorhandene Fähigkeiten und wirken dem Abbau entgegen. Auch körperliche Bewegung, etwa Ausdauer- oder Gleichgewichtstraining, ist wichtig, da sie die Durchblutung fördert und sogar das Wachstum neuer Nervenzellen anregen kann. Ein gesunder Lebensstil mit ausgewogener Ernährung, ausreichend Schlaf und Stressreduktion unterstützt ebenfalls die Gehirngesundheit und kann die „kognitive Reserve“ verbessern.
Wichtig ist, mögliche kognitive Probleme offen mit Deinem Arzt zu besprechen, so können rechtzeitig geeignete Maßnahmen, z. B. auch durch eine Therapieanpassung, eingeleitet werden.
Tipps für den Alltag: Kognitive Probleme und Gedächtnislücken bei MS bewältigen
- Organisiert bleiben: Nutze Kalender, To-Do-Listen oder Apps, um Termine und Aufgaben im Blick zu behalten. Handy-Erinnerungen oder Post-its helfen, an Wichtiges zu denken. Etabliere feste Ablageplätze (z.B. Schlüsselhaken), damit Gegenstände nicht verloren gehen.
- Ein Schritt nach dem anderen: Konzentriere Dich jeweils auf eine Aufgabe. Schalte Ablenkungen aus und strukturiere Deinen Tag in überschaubare Abschnitte. Plane Ruhepausen ein, gerade bei MS kann geistige Erschöpfung (Fatigue) die Konzentration stark beeinträchtigen.
- Gedächtnisstützen verwenden: Merkhilfen wie kleine Notizzettel, Sprachmemos oder Eselsbrücken können Wunder wirken. Zum Beispiel kann ein kleiner Reim oder eine Eselsbrücke dabei helfen, sich Reihenfolgen oder Zahlen zu merken. Vertraue Technik: Der Sprachassistent Deines Handys oder Apps für Einkaufslisten erleichtern Dir viele Aufgaben.
- Kognitive Reserve stärken: Fordere Dein Gehirn regelmäßig heraus: Lies Bücher, löse Rätsel, lerne ein neues Hobby oder eine Sprache. Schon 15–30 Minuten „Denksport“ pro Tag können helfen, neuronale Verbindungen zu trainieren und die geistige Flexibilität zu erhalten.
- Familie und Umfeld einbeziehen: Sprich offen über Deine Einschränkungen. Weise Freunde, Familie oder Kollegen darauf hin, wenn Du Zeit oder Ruhe brauchst oder wenn sie Dir Notizen geben sollen. Eine gemeinsame Familien-Tafel oder ein digital geteiltes Kalender-Tool sorgt dafür, dass alle auf dem Laufenden bleiben.
- Professionelle Hilfe: Wenn Du merkst, dass Du im Alltag häufig Probleme hast, suche (zusätzlich zum Neurologen) einen Ergotherapeuten oder Neuropsychologen auf. Diese Fachleute können Dir gezielt Strategien beibringen und Übungen mit Dir durchführen.
- Professionelle Hilfe: Wenn Du merkst, dass Du im Alltag häufig Probleme hast, suche (zusätzlich zum Neurologen) einen Ergotherapeuten oder Neuropsychologen auf. Diese Fachleute können Dir gezielt Strategien beibringen und Übungen mit Dir durchführen.
- Achtsame Bewegung und Entspannung: Entspannungstechniken wie Yoga oder Meditation helfen, Fatigue zu reduzieren und so die geistige Leistungsfähigkeit zu stabilisieren.
Mit diesen Strategien und einer guten Behandlung kannst Du aktiv etwas tun, um Deinen Alltag zu meistern und Deine geistige Gesundheit zu unterstützen.
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DE-NONNI-00969, Stand 09/2025