Früher galt MS als Erkrankung jüngerer Erwachsener, weil die ersten Symptome meist zwischen 20 und 40 Jahren auftreten. Studien zeigen inzwischen, dass immer mehr Menschen mit MS ein höheres Alter erreichen und dass auch die Zahl älterer Betroffener wächst. Dies ist vor allem eine Folge besserer Versorgung, verbesserter Therapien sowie eines stärkeren Fokus auf die Einbeziehung der Patienten in die Therapiewahl. Insgesamt stellt dies eine sehr positive Entwicklung dar. 

Gleichzeitig wird ein weiterer Trend zunehmend sichtbar: Immer mehr Menschen entwickeln MS erst im höheren Alter, oft ab etwa 50 Jahren – man spricht dann von „Late-Onset MS“ (LOMS). Eine schwedische Analyse zeigte, dass rund 11,8 % der Patienten in diese Gruppe fallen, wobei die Prognose häufig ungünstiger ist. So verläuft die Erkrankung bei älteren Menschen häufig fortschreitend und führt schneller zu körperlichen Einschränkungen. 

Diese demografische Veränderung bietet zugleich die Chance, MS im Alter besser zu verstehen, und macht es notwendig, Versorgungs- und Behandlungsstrategien gezielt zu überprüfen und anzupassen. Denn mit dem Älterwerden kommen zusätzliche Fragen auf: altersbedingte Veränderungen im Körper, Begleiterkrankungen, mehrere gleichzeitig eingenommene Medikamente und neue soziale Herausforderungen. 

In diesem Artikel erklären wir, worauf es jetzt besonders ankommt.

Mehr Erfahrung, mehr Themen im Alltag

Ältere Menschen mit MS berichten oft davon, dass sich nicht nur die Symptome ändern, sondern auch die Themen, die wichtig sind. Bei vielen treten im Laufe der Zeit Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Probleme auf. Diese sogenannten Komorbiditäten führen häufig dazu, dass mehrere Medikamente gleichzeitig eingenommen werden (Polypharmazie). 

Je mehr Medikamente zusammenkommen, desto größer ist das Risiko für Wechselwirkungen und für Nebenwirkungen. Deshalb ist es wichtig, Deine Medikamentenliste regelmäßig von Deinem behandelnden Arzt prüfen zu lassen. So lässt sich oft unnötige Medikation reduzieren und die Behandlung wird übersichtlicher. Außerdem können einfache Maßnahmen, etwa eine strukturierte Medikamentenbox oder eine Übersicht für Notfälle, den Alltag sicherer machen.

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Wie MS sich mit zunehmendem Alter verändert

Im höheren Alter kann MS manchmal anders in Erscheinung treten als in jüngeren Jahren. Bei einigen Menschen verändern sich die Schübe und der Verlauf wird eher schleichend, bei anderen gewinnen langsame, neurodegenerative Prozesse an Bedeutung. Manchmal werden neue Beschwerden wie Gedächtnisprobleme, Müdigkeit oder Gleichgewichtsstörungen fälschlich dem normalen Alterungsprozess zugeschrieben. Das führt dazu, dass MS-Symptome später erkannt werden. 

Deshalb lohnt es sich, neue oder sich verändernde Symptome medizinisch abklären zu lassen. Bildgebende Verfahren wie ein MRT oder gezielte neurologische Tests helfen, die Ursachen zu klären. Je früher Veränderungen erkannt werden, desto besser lassen sich passende Unterstützungsangebote planen.

Mobilität, Sturzrisiko und Lebensqualität bei MS im Alter

Mobilitätseinschränkungen sind eine der größten Sorgen, wenn Menschen mit MS älter werden. Muskelschwäche, Spastik, Koordinationsprobleme und verlangsamte Reaktionen erhöhen das Risiko zu fallen. Studien zeigen, dass Personen mit MS, die einmal gestürzt sind, ein hohes Risiko haben, erneut zu fallen, und dass Stürze oft zu Verletzungen führen können. Verletzungen wiederum können zu Rückzug aus sozialen Aktivitäten, zu Angst vor weiteren Stürzen und zu Abnahme der körperlichen Fitness führen. 

Genau deshalb sind Maßnahmen zur Sturzprävention so wichtig. Dazu gehören regelmäßiges Gleichgewichts- und Krafttraining, passgenaue Hilfsmittel und einfache Veränderungen im Wohnumfeld. Schon kleine tägliche Übungen können langfristig viel bewirken. 

Praktische Ideen für zu Hause: 

  • Kurze, tägliche Ăśbungseinheiten fĂĽr Beine und Rumpf, wenn möglich unter Anleitung in einer Physiotherapie oder Reha.
  • Wohnung sicherer machen, zum Beispiel durch gute Beleuchtung, Rutschschutz im Bad und leicht erreichbare Hilfsmittel.
  • Selbstvertrauen stärken, etwa durch Ăśbungsgruppen oder Balancekurse, die regelmäßig besucht werden.
  • Im Notfallplan festhalten, wen Du informieren willst und wo wichtige Dokumente liegen.
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Warum interdisziplinäre Betreuung jetzt so wertvoll ist

Älter werden mit MS betrifft nicht nur das Nervensystem, es betrifft den ganzen Menschen. Deshalb zahlt sich eine Betreuung durch verschiedene Fachleute oft besonders aus. Neurologen, Hausärzte, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Reha-Teams, Psychologen sowie Pflegekräfte bringen jeweils wichtiges Wissen mit. 

In interdisziplinären Teams lassen sich Reha-Maßnahmen, Alltagsstrategien und Therapiezweige besser aufeinander abstimmen. Reha-Aufenthalte können helfen, Mobilität und Selbstständigkeit wieder aufzubauen oder zu stabilisieren. Außerdem geben sie praktische Tipps für den Alltag, etwa wie Hilfsmittel genutzt werden oder wie man Energie einteilt.

Das Immunsystem verändert sich

Mit dem Alter verändert sich das Immunsystem, ein Prozess, den Fachleute Immunoseneszenz nennen. Das bedeutet vereinfacht, dass die Abwehrzellen weniger flexibel auf neue Infektionen reagieren und sich die Immunantwort verändert. In der Praxis heißt das, ältere Menschen sind anfälliger für bestimmte Infektionen und benötigen manchmal andere Schutzmaßnahmen, etwa angepasste Impfungen oder engere Überwachung. 

Gleichzeitig spielen die eingesetzten Therapien eine große Rolle. Manche hochwirksamen krankheitsmodifizierenden Behandlungen können das Risiko für Infektionen zusätzlich erhöhen. Deshalb prüfen Ärzte im höheren Alter besonders sorgfältig, welche Therapieform weiterhin sinnvoll ist, ob eine Anpassung oder ein Wechsel in Frage kommen oder ob zusätzliche Schutzmaßnahmen nötig sind. 

In diesem Zusammenhang rückt auch die Frage nach der Fortführung oder möglichen Reduktion einer Therapie bzw. Deeskalation stärker in den Mittelpunkt. Studien zeigen, dass die Balance zwischen Wirksamkeit und Risiken bei älteren Menschen immer wieder neu bewertet werden sollte. Einerseits kann das Absetzen einer Therapie das Risiko für neue Krankheitsaktivität erhöhen, andererseits können Nebenwirkungen oder Infektionen schwerer wiegen. Daher empfehlen Fachleute, Entscheidungen zur Deseskalation oder Weiterführung stets individuell zu treffen – gemeinsam mit Dir, angepasst an Deine MS und Deine Lebenssituation.

Was die Forschung zu MS im Alter sagt und wo noch Fragen offen sind

Die Forschung zum Thema MS und Alter wächst, doch es bleiben offene Fragen. Einige Studien deuten darauf hin, dass krankheitsmodifizierende Therapien im höheren Alter weniger wirksam sind, insbesondere wenn die MS in einen langsam fortschreitenden Verlauf übergeht. Andere Arbeiten zeigen, dass bestimmte Altersfaktoren mit einer stärkeren Ausprägung neurodegenerativer Prozesse zusammenhängen können. Gleichzeitig fehlen oft große, speziell auf ältere Menschen ausgerichtete Studien. Das bedeutet, dass viele Entscheidungen heute auf Erfahrung, kleineren Studien und individueller Abwägung beruhen. 

Für Betroffene ist es deshalb hilfreich, informiert zu bleiben, Fragen zu stellen und gemeinsam mit dem Behandlungsteam die beste, persönliche Lösung zu finden. 

In unserem Interview mit Dr. Angelika Derksen, Fachärztin für Neurologie, wird deutlich, wie sich die aktuelle Lage in der Forschung auf die Behandlung auswirkt und welche praktischen Schlüsse sich daraus für Betroffene ziehen lassen.

MS, GefĂĽhle und Planung

Das Älterwerden bringt bei vielen Menschen auch emotionale Themen in den Vordergrund. Sorgen um Selbstständigkeit, die Angst vor Hilfsbedürftigkeit oder die Frage, wie Angehörige unterstützt werden können, sind ganz normal. Wichtig ist, diese Ängste ernst zu nehmen und darüber zu sprechen. Austausch in Gruppen oder Beratung durch psychosoziale Dienste kann entlasten. 

Praktische Planung hilft ebenfalls, zum Beispiel das Festlegen von Vorsorgevollmachten, das Aufschreiben wichtiger Kontaktdaten oder das Planen von Wohnanpassungen. Wer früh plant, hat oft weniger Stress im Alltag und kann Entscheidungen in Ruhe treffen. 

Älter zu werden mit MS bedeutet, neue Wege zu finden und dabei die eigenen Prioritäten klar im Blick zu behalten. Jeder kleine Schritt – sei es ein Gespräch mit Deinem Behandlungsteam, ein Reha-Kurs, bewusste Bewegung oder der Austausch mit anderen Betroffenen – kann helfen, Sicherheit und Lebensfreude zu stärken. Dennoch bleiben es Deine Entscheidungen und Deine Ziele, die den Weg bestimmen. 

Den Einstieg in mehr Bewegung kannst Du sofort machen. In unserer Videoserie zeigt Mag. Roman Bayer, wie Yoga speziell für Menschen ab 50 schonend und gleichzeitig effektiv praktiziert werden kann. 

Hast Du gerade ein Thema, das Dich besonders beschäftigt? Tausche Dich mit der LMMS-Community bei Facebook oder Instagram aus. Wir freuen uns auf Dich! 

 

DE-NONNI-00987, Stand 09/2025