Die Blut-Hirn-Schranke – Ein Schutzwall für unsere Nervenzellen, nicht nur bei MS

Die Blut-Hirn-Schranke (BHS) ist ein wichtiger Bestandteil unseres zentralen Nervensystems (ZNS). Sie umgibt unser Nervengewebe und sorgt für ein stabiles Umfeld, indem sie das Gehirn und Rückenmark vor schädlichen Substanzen und Mikroorganismen schützt. Grundsätzlich kannst Du Dir die BHS als eine Schutzbarriere vorstellen, die Dein ZNS vor schädlichen Einflüssen von außen bewahrt. Diese Barriere fungiert als physische Abgrenzung, die das Eindringen von Krankheitserregern in Dein Gehirn oder Rückenmark verhindert. Gleichzeitig wirkt sie wie ein Filter, der wichtige und notwendige (Nähr-)Stoffe passieren lässt.

Gebildet wird diese Barriere aus einem Verbund verschiedener, spezialisierter Zellen. Betrachtet man einen Querschnitt durch ein mit dem ZNS verbundenes Blutgefäß, dann sieht man am innersten Rand sogenannte Endothelzellen. Das sind flache Zellen, die die Innenseite der Blutgefäße (Endothel) auskleiden und die bereits erwähnte physische Barriere zwischen dem Blutgefäß und dem umliegenden Gewebe bilden. Um ins oder aus dem ZNS zu gelangen, müssen alle Stoffe das Endothel passieren.

Im Regelfall arbeitet das Endothel wie ein strenger Wächter, der genau kontrolliert, wer passieren darf. Kleine und fettlösliche Stoffe können ganz natürlich durch die Endothelzellen ins ZNS gelangen. Größere Moleküle und andere Substanzen benötigen dafür hingegen spezielle Transportsysteme. Viele Stoffe (z. B. Arzneimittel wie Penicillin, Insulin oder die meisten Krebsmedikamente) oder Krankheitserreger können bei gesunden Menschen nicht über diese Systeme ins ZNS transportiert werden. Diese stark selektive Barriere- bzw. Wächterfunktion schützt das Gehirn effektiv vor unerwünschten Faktoren, verhindern aber auch manchmal, dass bestimmte Medikamente direkt ins Gehirn gelangen und dort wirken können.

Einen schematischen Querschnitt zum Aufbau der BHS findest Du in der nachfolgenden Abbildung.

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Weitere Zellen, die die Blut-Hirn-Schranke umgeben, spielen eine wichtige Rolle in verschiedenen Prozessen im ZNS. Dazu gehört die Aktivierung von Lymphozyten sowie der Stoffaustausch zwischen Nervenzellen und Blut. Diese Zellen sind Teil des Stützgewebes unseres Nervensystems und umfassen neben Astrozyten auch andere Gliazellen wie die Mikroglia, die Teil des Immunsystems sind.

Wie können fehlgeleitete Lymphozyten bei MS die Blut-Hirn-Schranke überwinden? – eine mögliche Erklärung

Bei MS greift das Immunsystem irrtümlich statt körperfremden Zellen, wie z. B. Krankheitserregern, das eigene Nervensystem an. Dies geschieht, weil bestimmte Immunzellen, die Lymphozyten, fälschlicherweise aktiviert werden.

Normalerweise ist diese Aktivierung ein natürlicher Prozess des Immunsystems und tritt auch bei gesunden Menschen auf, wenn Lymphozyten auf Bestandteile von Krankheitserregern, wie z. B. Bakterien, treffen. Bei MS-Patienten reagieren die Immunzellen jedoch auf körpereigene Bestandteile des ZNS, wie Myelin, und lösen dadurch eine sogenannte Autoimmunreaktion aus. Infolge dieser Reaktion, die weitere Prozesse im Körper auslöst, können weitere Immunzellen die Blut-Hirn-Schranke überwinden, um die vermeintliche Infektion zu bekämpfen.

Obwohl die genauen Mechanismen noch nicht vollständig erforscht sind, hat die Forschung der letzten Jahre gezeigt, dass es bei MS-Betroffenen zu vorübergehenden Störungen in der Funktionsweise der BHS kommt. Dadurch wird der streng kontrollierte und regulierte Austausch von Zellen und Substanzen beeinträchtigt, was es fehlgeleiteten Immunzellen aus der Peripherie, d. h. außerhalb des Gehirns, erleichtert, die BHS zu überwinden und das Nervengewebe anzugreifen. Dies kann zu Entzündungen und Schäden im Gehirn führen, die die typischen MS-Symptome wie Probleme mit Bewegung, Sehen und Koordination verursachen.

Auch wenn die BHS intakt ist, können bei fortschreitender Verschlechterung der Krankheit aktivierte Immunzellen ins Gehirn eindringen und Entzündungen hervorrufen. Das liegt daran, dass es Teil der normalen Immunabwehr ist, Infektionen auch im Gehirn zu bekämpfen. (Entzündungsreaktion = Infektabwehr). Dafür gibt es Mechanismen, die Immunzellen unter entsprechenden Voraussetzungen erlauben die BHS zu durchdringen. In pathologischen Fällen, wie der MS, ist dieser Prozess jedoch gestört, was zur Entstehung der Autoimmunerkrankung führt. Bei progredienten Krankheitsverläufen kommt es in der Folge dazu, dass die Entzündungsprozesse im Gehirn hinter der mehr oder weniger intakten BHS stattfinden.

In unserem Interview mit Dr. Klaus Gehring könnt ihr mehr über den Einfluss der Blut-Hirn-Schranke bei MS und seine Sicht auf die damit verbundenen Herausforderungen aktueller Therapieoptionen lesen.

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DE-NONNI-00799, Stand 09/2024