PatientIn „AliceUnchained“ | 30. MĂ€rz 2023

Sehr geehrtes Expertenteam,

ich, weiblich, 34 Jahre alt hatte im Dezember einen akuten Schwindelanfall mit Nystagmus und Erbrechen, woraufhin ich ins Krankenhaus (HNO-Klinik) kam und Betahistin bekommen habe (kein Kortison, da ich Depressionen habe). Mir wurde empfohlen, im Verlauf ein MRT vom Kopf machen zu lassen, um ein Akustikusneurinom auszuschließen (mir wurde im KH Neuritis vestibularis diagnostiziert). Nach Absetzen des Betahistins hatte ich noch eine Weile leicht mit Schwindel zu tun, aber dann hörte es auf.

Das MRT vom Kopf wurde nun im Januar gemacht. Dort zu sehen ist eine leichte Zunahme an Flecken im periventrikulĂ€ren Marklager (ich glaube T2-hyperintense MarklagerlĂ€sionen) / „Leukenzephalopathie leicht zunehmend“. In der Beurteilung vom Radiologen stand dann auch „Chronisch-entzĂŒndliche Ursache ausgeschlossen? Ansonsten mikroangiopathischer Genese.“ Es gibt Vorbilder aus September 2016, da war es nur eine einzelne, unspezifische LĂ€sion in der weißen Substanz rechtsfrontal.

Nun war ich mit dem Befund bei einer Neurologin, sie zÀhlte 6 bis 7 dieser LÀsionen und sprach den Verdacht auf MS aus und möchte, dass eine Lumbalpunktion gemacht wird. Davor habe ich Angst, mir ging das alles sehr schnell und ich bin auch geschockt.
Mir wĂ€re es am liebsten, es wĂŒrde sich vielleicht noch ein zweiter Arzt die Bilder ansehen, und dies so bestĂ€tigen. Oder ist es einfach so eindeutig, dass es keinen Sinn macht, dass es sich noch jemand ansieht und die Lumbalpunktion ist die einzige Möglichkeit, um jetzt festzustellen, ob es MS ist?

Ich frage mich einfach, ob die LÀsionen auch eine andere Ursache haben können (psychische Erkrankung (ich habe Depressionen und Angststörung), zu wenig Bewegung, Corona-Infektion (hatte ich im Dezember vor meinem Schwindelanfall)).
BezĂŒglich Symptomen habe ich bisher gedacht, ich hĂ€tte keine typischen MS-Symptome, aber rĂŒckblickend betrachtet kann es sein, dass ich vieles einfach fĂŒr psychisch gehalten habe, weil ich die Diagnosen Depressionen und generalisierte Angststörung schon seit ĂŒber 10 Jahren habe (nehme 15 mg Escitalopram tĂ€glich).

Ich habe an manchen Tagen das GefĂŒhl, gar nicht richtig wach zu werden, als ob mir ein enger Hut auf dem Kopf sitzt, wie ein Druck auf meinem Kopf und meinen Augen. Kopfschmerzen habe ich auch ab und zu, keine sehr starken. In den letzten zwei Jahren habe ich auch das GefĂŒhl, dass meine Augen schlechter geworden sind (habe ohnehin -7,5 Dioptrien und trage eine Brille), ich sehe irgendwie verschwommener, aber das letzte Mal beim Optiker wurde keine Verschlechterung festgestellt. Ich merke oft, dass mein Puls hoch ist, und kann mich nicht richtig beruhigen. Ich habe schon viele schlimme Erlebnisse in der Vergangenheit gehabt, aber trotzdem versucht, mein Leben halbwegs gut zu leben (arbeite Vollzeit und bin in einer langjĂ€hrigen Beziehung).

Seit mir diese Verdachtsdiagnose mitgeteilt wurde, weine ich viel, bin kraftlos, wenn ich Sport mache, kommen mir meine Muskeln danach sehr kraftlos und geschunden vor, mein linker Daumen zuckt manchmal von ganz alleine, mein linker Unterarm fĂŒhlt sich heute auch sehr schwach an. Meine Augen sind lichtempfindlicher als sonst und abends ĂŒberfĂ€llt mich manchmal eine starke MĂŒdigkeit.

Deutet dies fĂŒr Sie auf eine MS hin? Bis auf diesen einen Schwindelanfall kann ich aber keine einzelnen SchĂŒbe ausmachen, deutet das fĂŒr Sie dann ggf. auf eine primĂ€r progrediente MS hin?

Eine weitere Frage habe ich noch. Ich habe noch keine Kinder, aber dringenden Kinderwunsch, und zwar schon lange. Meine Psyche hat mir so oft einen Strich durch die Rechnung gemacht, und 2020 hatte ich auch eine Fehlgeburt. Ist es generell vertretbar, mit meinen Symptomen und der Verdachtsdiagnose schwanger zu werden, ein Kind zu bekommen? Ist es moralisch korrekt? Oder soll ich jetzt lieber erst einmal die LP abwarten und dann schauen? Ich mache mir solche Sorgen, dass meine WĂŒnsche und TrĂ€ume jetzt komplett vorbei sind.

Vielen Dank fĂŒr Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Hilfe.
Freundliche GrĂŒĂŸe!

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Deine Frage beantwortet

Carsten Sievers
Neurologe|30. MĂ€rz 2023

Hallo AliceUnchained,

zuerst: Psychische Ursache verursachen keine umschriebenen LĂ€sionen im Gehirn. Die Radiologin hat offensichtlich keinen MS-typischen Befund erhoben, sondern an gefĂ€ĂŸbedingte bzw. unspezifische LĂ€sionen gedacht und nach dem Motto "irgendetwas muss es ja sein" die MS-Frage gestellt. Hier gilt was nicht wie MS aussieht ist erst mal auch keine. Offen ist aber die Frage warum eine 34jĂ€hrige solche LĂ€sionen hat, neben der grĂŒndlichen Untersuchung von GefĂ€ĂŸrisikiofaktoren u.a. kann hier eine Liquoruntersuchung abgesehen vom Ausschluss einer MS sinnvoll sein um nmöglichen Ursachen nachzugehen. Ihre Beschwerden deuten tatsĂ€chlich auch nicht auf eine MS, auch nicht auf eine chronisch progrediente, also auch hier im Bezug auf MS erst mal Entwarnung. Viele ihrer Beschwerden passen gut zu psychosomatsichen Ursachen. Die Frage nach einer Schwangerschaft ist ohne Diagnose nicht sicher zu beantworten, hĂ€tten sie MS wĂ€re das aber kein Problem. Die Frage nach der moralischen Vertretbarkeit verstehe ich nicht so ganz.

MfG

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