PatientIn „Lalo“ | 05. MĂ€rz 2020

Liebes Expertenteam,

ich habe nun seit fast 2 vollen Jahren verschiedene neurologische Symptome und es wurden zwischenzeitlich auch Befunde gemacht, die verdÀchtig auf MS waren. Da die Symptome immer stÀrker werden, aber eine Diagnose bisher ausblieb, wollte ich mal meine Geschichte hier erzÀhlen und hören, was Sie dazu sagen.

Es fing alles an im MÀrz 2018 (damals war ich gerade 22 Jahre alt geworden). ZunÀchst hatte ich linksseitig Brustschmerzen, weswegen ich erst Angst um mein Herz hatte, was aber bald dank unauffÀlliger kardiologischer bzw. internistischer Untersuchungen geklÀrt werden konnte.
Damals wurde auch ein großes Blutbild gemacht, welches bis auf positive EBV (lt. HausĂ€rztin eine Infektion im Kindesalter) unauffĂ€llig war.

Parallel dazu hatte ich auch (am Tag nach einem Fitnesstraining) wie eine Art extrem starken und schmerzhaften Muskelkater im linken Bizeps, sodass ich nicht fĂ€hig war, den Arm ganz durchzustrecken. Dieses GefĂŒhl ging einher mit leichten Missempfindungen wie Kribbeln oder einem SchwellungsgefĂŒhl in dem Arm und der Hand. Wenn ich heute ein Bizepstraining mache, kehrt dieses GefĂŒhl genau so wieder zurĂŒck und hĂ€lt meist mehrere Tage.

In dieser Zeit bemerkte ich auch, dass auf meinem linken Auge die SehschĂ€rfe nachgelassen hatte. Ich hatte zwar keine Augenschmerzen, aber dennoch kam ich auf MS und es wurde ein craniales MRT durchgefĂŒhrt, wobei eine "Ă€ußerst diskrete periventrikulĂ€re IntensitĂ€tsanhebung" gefunden wurde, die ja von der Lokalisation her zu MS passen könnte.
Eine VEP wurde auch gemacht, war aber unauffÀllig.

In der Zwischenzeit bekam ich neue Symptome, wie ein sehr starker Schmerz in beiden FĂŒĂŸen beim Stehen oder Sitzen, nicht im Laufen oder Liegen. Ebenfalls in dieser Anfangszeit habe ich mir gewisse sensible Symptome, wie ein Kribbeln oder Pieksen z. B. in HĂ€nden, FĂŒĂŸen, Schienbeinen, Zehen am Hinterkopf und Nacken sowie kurze, stechende Schmerzen in verschiedensten Körperregionen und erste Muskelzuckungen notiert.

Eine Lumbalpunktion wurde ebenfalls durchgefĂŒhrt, die nur eine leichte Schrankenfunktionsstörung aufgrund erhöhten Albumins im Liquor anzeigte.

In den Folgemonaten kamen und gingen Symptome, was blieb war eine beginnende, leichte (gefĂŒhlte) SchwĂ€che im linken Bein, die sich zu dem Zeitpunkt nur manchmal Ă€ußerte.

Im Sommer 2018 hatte ich mehrere Untersuchungen in der hiesigen UniversitĂ€tsklinik, bei denen beim MEP eine verzögerte "ZML" und grenzwertig verlĂ€ngerte Gesamtlatenz links festgestellt wurde. Ein darauf folgendes spinales MRT zeigte keine entzĂŒndlichen LĂ€sionen.

In der Zwischenzeit (bis heute) stellten sich weitere Symptome ein bzw. die vorhandenen verstÀrkten sich.

VerstĂ€rkt hat sich das SchwĂ€chegefĂŒhl im linken Bein. Es Ă€ußert sich meist als ein GefĂŒhl von SchwĂ€che oder InstabilitĂ€t um das Knie herum. Dies ist vermehrt bei Belastung wie dem Treppensteigen, nach lĂ€ngeren Strecken aber auch beim normalen Gehen zu spĂŒren. Oft kommt es mir (vor allem nach Belastung) so vor, als mĂŒsste ich mich besonders auf die Bewegungen des Beins "konzentrieren", um diese auszufĂŒhren.

Zudem habe ich eine Art Haltetremor in meiner linken Hand, schon wenn ich nur ein Wasserglas halte oder die Gabel beim Essen. Dieser ist mal stĂ€rker, mal kaum bemerkbar. Auch in der linken Schulter stellt sich öfter ein SchwĂ€che- bzw. SchweregefĂŒhl beim Heben des Arms ein.

Außerdem habe ich Faszikulationen in fast allen Körperregionen, hauptsĂ€chlich in den Beinmuskeln, aber auch an Stellen wie dem Hals oder Rumpf.

Zudem habe ich den Eindruck, dass fast sÀmtliche Muskeln in meiner linken KörperhÀlfte Atrophieerscheinungen aufweisen.
Am deutlichsten zu erkennen ist dies an der Hand, wo der Daumenballen abgeflacht ist und Rillen hat, zudem ist der Muskel zw. Zeigefinger und Daumen schmĂ€chtiger als rechts. Zwar hat mein Neurologe die Kraft des Daumens getestet und fĂŒr normal befunden, aber parallel beim Ausmessen 1cm (oder sogar mehr, ich erinnere mich nicht genau) Seitenunterschied zur rechten Hand festgestellt.
Aber auch die linken Armmuskeln, der Oberschenkel und vor allem die Wade und auch der linke Fuß erscheinen mir wesentlich schmĂ€chtiger als rechts.
Seit ein paar Tagen habe ich manchmal auch ein schwer zu beschreibendes GefĂŒhl ĂŒber dem linken Auge bzw. Augenlid, welches sich in etwa wie ein leichtes FremdkörpergefĂŒhl anfĂŒhlt.

Anfang diesen Jahres war ich erneut in der Neurologie der Uniklinik vorstellig geworden, das MEP war jetzt normal, dafĂŒr beim SSEP die Amplitude rechts niedrig-normal und links verringert.
Die körperlich-neurologische Untersuchung war zwar unauffĂ€llig, dies begrĂŒnde ich aber damit, dass die meisten signifikanten Symptome wie die BeinschwĂ€che erst nach Belastung auftreten bzw. klinisch noch schwer fassbar sind.

Der CK-Wert im Blut und ein EMG der m. Biceps brachii links und m. Gastrocnemius links waren normal.

Die Symptomatik, vor allem im linken Bein, hat sich die letzten Monate bzw. Wochen verschlechtert, die letzte Verlaufskontrolle des cran. MRT zeigte ein unverĂ€ndertes Bild zur ersten Untersuchung, aber ich stehe mit lauter Fragen da und mit einer plagenden Ungewissheit ĂŒber meine Gesundheit.

Könnte es sich evtl. dabei um eine PPMS handeln, mit nur einer LÀsion, aber schon vorhandenem axonalen Schaden (wegen der SSEP-Amplitude)?
Wenn ich es richtig verstanden habe, ist es ja so, dass bei der PPMS eher die axonale SchÀdigung als die Demyelinisierung im Vordergrund steht.
Ich weiß, rein per Definition wĂ€re es noch keine MS, da zu wenig LĂ€sionen, aber kann es sein, dass schon zu Beginn die primĂ€r progrediente Form vorliegt und bei mir motorische Bahnen geschĂ€digt sind, daher die Symptome? Und woher kommt es, dass die MEP in 2018 pathologisch, der Befund jetzt aber nicht mehr reproduzierbar ist, trotz anhaltender motorischer Symptome? Und wĂ€ren die (von mir vermuteten) Atrophien mancher Muskeln mit MS-bedingten SchĂ€digungen zu erklĂ€ren?

Ich weiß, das sind sehr viele Fragen, aber es ist eine Möglichkeit, mal meine ganze Geschichte vorzutragen, mein Neurologe hat mich inzwischen leider als Hypochonder mit Somatisierungsstörung abgestempelt, obwohl er beim ersten MRT selbst davon sprach, dass "da etwas ist". Deshalb fĂŒrchte ich, er nimmt mich nicht mehr ernst und die letzte Untersuchung war ja leider auch nicht wegweisend.
Ich will mir hier nicht selbst eine Diagnose stellen, aber wenn man sich die Befundkonstellation mal so anschaut, dann wirkt die Kombination aus MEP, SSEP und dem MRT doch recht eindeutig - auch, wenn es gar nicht nach einer "typischen" MS aussieht.
In der Zwischenzeit habe ich auch Muskelerkrankungen bzw. neuromuskulÀre Ursachen in Betracht gezogen, die normale CK und das EMG sprechen ja allerdings eher gegen diese.

Ich bedanke mich schon einmal im Voraus fĂŒr Ihre Zeit und Hilfe, vielleicht haben Sie ja schon Ă€hnliche Erfahrungen mit Patienten gemacht oder wissen um evtl. Untersuchungen, die noch hilfreich wĂ€ren.

Viele GrĂŒĂŸe

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Dr. med. Detlev Schneider
Neurologe|07. MĂ€rz 2020

Sehr geehrte/r Fragetseller/in,

Ihre Geschichte ist wirklich komplex mit zum Teil Symptomen, die man bei einer MS sehen kann, aber auch mit Symptomen, die ganz und garnicht zu einer MS passen. Es gibt klare MS-Kriterien, die sich aufgrund der gestellte Befunde bestĂ€tigen oder verneinen lassen. Wenn zum Zeitpunkt A die Kriterien nicht ausreichen, so muss man in halbjĂ€hrlichen AbstĂ€nden systemtisch erneut die notwendigen Untersuchungen durchfĂŒhren. Die MS ist eine dynamische Erkrankung, d.h. sie fĂ€ngt mit einzelnen, anfangs noch unscheinbaren Symptomen an, sollte ab in den folgenden Jahren immer leichter zu diagnostizieren sein. Ohne Sie selbst untersucht zu haben und ohne die MRT-Bilder gesehen zu haben können wir an dieser Stelle Ihre Diagnose nicht stellen. Dies haben ja scheinbar schon viele andere erfolglos versucht. An dieser Stelle kann ich nur den Tipp geben, sich an eine mit MS erfahrene Klinik oder einen Neurologen zu wenden, der Ihre Krankengeschichte im Blick hat und im Verlauf die nötigen Untersuchungen immer wiederholt (MRT mit KM, VEP, SEP, MEP, AEP, LP + oligoclonale Banden, MRZ-Reaktion). Was allerdings sehr gegen eine MS spricht ist die Tatsache, dass bei den zahlreichen Symptomen im Verlauf keine MS-typische Herde zu sehen sind. Dies muss einen stutzig machen und die Frage aufwerfen, ob eine andere Erkrankung - auch eine seelische - vorliegen könnte.

Mit freundlichen GrĂŒĂŸen

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