Kreativität ist eine nicht greifbare Fähigkeit, die uns in vielen Bereichen unseres Lebens abverlangt wird. Sei es privater Natur, wenn wir z. B. kochen, tanzen oder mit den Kindern basteln. Aber auch im Beruf, wenn es darum geht, Problemstellungen zu analysieren und eventuell sogar, um Innovationen bei Produkten oder Prozessen zu entwickeln.
Per Definition ist sie eine schöpferische Kraft oder um es mit den Worten von Pablo Picasso zu sagen: „Alles, was Du Dir vorstellen kannst, ist real.“ Kreativität ist also die Fähigkeit, etwas Neues zu erschaffen. Dabei geht es nicht immer darum, ein Bild zu malen oder eine schöne Geschichte zu schreiben. Kreativität bedeutet auch, um die Ecke denken zu können, neue Lösungsansätze für ein Problem zu finden und flexibel im eigenen Denken zu sein.
Aus all diesen Beschreibungen wird also ein Punkt absolut klar: Was man genau als Kreativität bezeichnet, bietet enorm viel Platz für Interpretation. Trotzdem stellen wir uns dieser Aufgabe und versuchen diesem wunderlichen Begriff auf den Grund zu gehen. Vor allem schauen wir uns aber an, warum Kreativität gerade für MS-Betroffene so bedeutsam sein kann.
Ob Kreativität oder MS: eine Sache des Nervensystems
Beginnen wir unsere Reise an dem Punkt, bei dem sich MS und Kreativität rein physiologisch überschneiden: unserem Nervensystem.
Menschliche Kreativität geht bereits auf unsere frühesten Wurzeln zurück und ihre ersten Spuren sind über 40.000 Jahre alt. Die wirkliche Erforschung ihrer Grundlagen hat jedoch erst im 20. Jahrhundert mit der Begründung der Neurowissenschaften ihren Anfang genommen. Dennoch sind wir in dieser Zeit in unserem Verständnis weit gekommen. So wissen wir inzwischen, dass Kreation ein Prozess ist, bei dem sowohl Raum (der Ort, an dem der Prozess stattfindet), als auch Zeit (der Zeitpunkt, zu dem der Prozess stattfindet) eine Rolle spielen und dass daran eine Reihe unterschiedlicher Neurotransmitter (biochemische Stoffe, die der Signalübertragung zwischen Nervenzellen dienen), wie Noradrenalin, Dopamin und Serotonin, beteiligt sind. Und dann sind da die Bereiche unseres Gehirns, in dem die Kreativitätszentren sitzen:
- Der Thalamus, der gleichzeitig als Filter und Verteiler unserer Sinneseindrücke - des Fühlens, Sehens und Hörens - dient.
- Der präfrontale Kortex, zu dessen Funktionen die Planung und Steuerung unserer Handlungen sowie die Entwicklung von Problemlösungen anhand unserer Erfahrungen gehören.
Forschern ist es gelungen, Muster in unserer Kreativität zu entdecken, aus denen sich vier Kreativitätstypen ableiten lassen. Sie setzen sich aus der willentlichen und spontanen Verarbeitung von Emotionen und kognitiven Vorgängen zusammen und werden alle von spezifischen neuronalen Kreisläufen gesteuert.
Kreativität als Ausdruck, Therapie und mehr
Der spontan-emotionale Typ zeigt uns, dass unsere Kreativität auch durch bedeutsame Erlebnisse geweckt werden kann. Und gerade die Diagnose einer ernsthaften Autoimmunerkrankung wie MS ist für viele Menschen ein solches einschneidendes Ereignis, das Unsicherheiten und Ängste wecken kann. Bei der Verarbeitung dieser Gefühle kann es helfen, sich kreativ auszudrücken. Diese Heilkraft ist schon seit langem bekannt und wird auch bewusst, z. B. in der Kunsttherapie bzw. Gestaltungstherapie, eingesetzt. Denn es kann Betroffenen (aber auch ihren Angehörigen) helfen, Dinge auszudrücken, die sie sonst nicht in Worte fassen können. So können auch aufgestaute und unbewusste Sorgen und Wünsche mit dem Umfeld kommuniziert werden, ohne zwangläufig in einen direkten Dialog zu treten.
Natürlich fällt es nicht allen Menschen gleich leicht. Während die einen sich schon von Kindesbeinen an künstlerisch betätigen, sind andere deutlich zurückhaltender und scheuen sich vor einem vermeintlichen „Versagen“. Dabei geht es bei der Kunsttherapie nicht darum „vorzeigbare Ergebnisse“ zu produzieren, sondern Zugang zu dem eigenen Unterbewusstsein zu schaffen. Es ist der Prozess, der zählt und nicht das Ergebnis.
Umso wichtiger ist es, dass für den Betroffenen passende kreative Mittel zu finden. In erster Linie bedeutet das, die für Dich passende Auswahl zu treffen. Die einzige Grenze dabei ist Deine eigene Vorliebe, denn die Möglichkeiten reichen von Malen, über Schreiben, bis hin zu Töpfern und Gärtnern. Wenn Du Inspirationen brauchst, schau gerne in unsere Mutmachgeschichten, wie andere MS-Betroffene ihre Kreativität ausleben. Bei Katrin und Phil findest Du direkt zwei mögliche Ausdrucksformen der Kreativität.
Kreativität fördert nicht nur die Schöpfungskraft. Mit ihr lassen sich auch unsere kognitiven und motorischen Leistungsfähigkeiten verbessern. Und gerade bei einer neurodegenerativen Erkrankung wie MS kann das einen positiven Einfluss auf die Erhaltung der Lebensqualität haben. Dabei müssen Dich eventuelle Beeinträchtigungen nicht davon abhalten kreativ zu sein. Denn es gibt viele Möglichkeiten, die Kreativität mit Handicap ermöglichen, z. B. kann Dir bei Schwierigkeiten mit Deiner Feinmotorik helfen, wenn Du statt mit einem Pinsel mit Deinen Fingern malst oder wenn Dich ein Speech-to-text-Programm beim Schreiben unterstützt. Übrigens sind die Kreativzentren in unserem Gehirn nicht nur dann aktiv, wenn wir selbst kreativ sind. Es hilft auch an der Kreativität anderer teilzunehmen, beispielsweise beim Besuch einer Kunstausstellung oder Theatervorstellung.
Nicht nur bei MS: In den kreativen Flow kommen
Nicht jeder Mensch ist gleich kreativ. Zum Beispiel muss man beim Tanz andere mentale Voraussetzungen und Eigenschaften mitbringen als in der Wissenschaft. Jene sind jedoch nicht weniger komplex. So muss man nicht nur über eine gute Koordination verfügen, sondern auch eine gute musikalische Wahrnehmung mitbringen und sie dann noch kreativ umsetzen können.
Ein kreativer Kern steckt in jedem von uns. Manchmal muss man ihn nur finden und trainieren. Denn Kreativität lässt sich lernen und ausbauen. Das Stichwort heißt hier wie so häufig im Leben: Einfach machen.
Dabei können wir von Kindern sehr viel lernen, denn sie bringen die besten Voraussetzungen für kreatives Arbeiten mit. So fällt es ihnen leicht, in den sogenannten „Flow“ zu kommen. Das bedeutet, sich völlig auf eine Tätigkeit zu konzentrieren und alles andere zu vergessen. Der Begriff wurde vom Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi geprägt, um zu beschreiben, wie jemand vollkommen in seiner Aufgabe bzw. Tätigkeit aufgeht. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Kinder in ihrer Kreativität nicht selektiv sind. Keine Idee wird von vornherein verworfen, sondern stattdessen in all ihren Facetten ausgelebt.
Diese Erkenntnisse kannst Du nutzen, wenn Du Deine Kreativität trainieren willst:
- Nimm Dir Zeit für Deine Kreativität.
- Schaffe Bedingungen, die Deine Kreativität fördern.
- Mehr ist mehr: Es geht nicht darum, ein vollkommenes Kunstwerk zu schaffen, sondern darum, viele Variationen einer Idee zu kreieren.
- Trainiere verschiedene Bereiche Deiner Kreativität. Bringe Abwechslung in Dein Training.
- Geh raus: Lass Dich von der Welt um Dich herum inspirieren und sammle neue Erfahrungen.
Go with the flow – Anregung zum Kreativsein
Wir haben uns jetzt lange mit der Theorie beschäftigt und daher wird es höchste Zeit, dass wir Dir etwas Praktisches an die Hand geben.
Unser Vorschlag: Fordere Deine Kreativität bei einer Fotochallenge heraus. Wir geben Dir Ideen für 7 verschiedene Motive für 7 Tage an die Hand und Du entscheidest über alles weitere. Ob „old school“ mit der Polaroid oder mit Deinem Smartphone: Stell Dich der Challenge und teil Deine Bilder mit der LMMS-Community auf Instagram oder Facebook.
7 Tage Fotochallenge
1. Etwas GrĂĽnes
Grün ist die Farbe der Hoffnung, der Stabilität und Harmonie. Und wir finden es überall. Finde ein Motiv, das Dir gefällt und (grüne) Farbe in Dein Foto zaubert.
2. Perspektivwechsel
Wir kennen unsere Welt hauptsächlich aus unserer Augenhöhe, aber wie wäre es, wenn wir diese Perspektive einmal wechseln? Wie sähe die Welt aus, wenn wir fliegen könnten oder winzig klein wären?
3. Schwarz/WeiĂź
Gerade in der dunklen Jahreszeit erscheint uns manchmal alles grau und trist. Dabei kann die Welt in Schwarz/Weiß auch schön und besonders sein. Wenn uns Farben nicht mehr stören, konzentriert sich unser Gehirn auf Muster. Damit diese richtig wirken mach sie zu Deinem Hauptmotiv. Natürlich in Schwarz/Weiß.
4. Reflektion
Reflektionen helfen uns, uns selbst besser zu verstehen. Aber auch Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Warum also sich das nicht zu Nutze machen und die Welt einmal durch eine Reflektion, z. B. im Wasser, betrachten?
5. (Selbst-)Portrait
Bei Portraits geht es darum die Persönlichkeit des Models einzufangen und den Betrachter an ihrer Geschichte teilhaben zu lassen. Nicht immer muss diese auch der Realität entsprechen. Lass Deiner Fantasie freien Lauf und erfinde Dich oder Dein Model neu. Und entdecke neue Seiten an Dir oder Deinen Mitmenschen.
6. Symmetrie
Symmetrische Bilder wecken in uns ein Gefühl der Ordnung. Auch unsere Empfindung von Schönheit basiert auf Symmetrie, je symmetrischer ein Gesicht ist, als desto schöner empfinden wir es. Finde Symmetrie in Deinem Leben und werde der Schönheit bewusst, die um Dich herum ist.
7. Daily Business
Das Wichtigste zum Schluss. Wie der Name schon sagt, spielt Alltag in unserem Leben eine zentrale Rolle. Wie sieht Dein Alltag aus? Was sind Aspekte, die Du vielleicht nie wissentlich wahrgenommen hast?
Wir hoffen, dass Dir diese Challenge hilft Deine Kreativität zu üben und vielleicht sogar ein neues Bewusstsein für Dich und Deine Umwelt zu gewinnen.
In diesem Sinne: Go creative – Go for life!
DE-NONNI-00322, Stand 11/2022