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Eva wagt den Traum von einem langen Auslandaufenthalt
Wie machte sich die MS bei Dir zum ersten Mal bemerkbar?
Meinen ersten Schub hatte ich 2011. Rückblickend kann ich heute gut einordnen, was ihn ausgelöst haben könnte. Die Zeit davor hat mich nämlich emotional stark belastet. Mein Studium hat mich nicht erfüllt. Dann kam noch die Trennung von meinem damaligen Partner dazu. Aber das Schlimmste war der Tod meines Papas. Er hatte einen Herzinfarkt und lag danach etwa ein Jahr im komatösen Zustand. Auch wenn es absehbar war, dass er nicht mehr aufwachen würde, war sein Tod ein Schock für mich, und es war ein Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr so weiter machen konnte wie bisher. Ich wollte schon nach meinem Abitur gerne ins Ausland. Also habe ich beschlossen, mein Studium abzubrechen und nach Australien zu gehen.
Die Rechnung für all diesen Stress bekam ich kurz vor meiner Abreise. Es fing damit an, dass ich ein seltsames Gefühl in den Fingerspitzen meiner rechten Hand hatte. Das fühlte sich wie ganz viele Kaktusnadeln an. Als es immer schlimmer wurde, bin ich zu einem Orthopäden gegangen, der es mit der Überbelastung meines Handgelenks durch meinen damaligen Nebenjob in der Gastronomie begründet hat. Die verschriebene Schiene hat natürlich nicht geholfen. Stattdessen wurden die Symptome immer schlimmer. Als ich beim Duschen bemerkt habe, dass mein Brust- und Bauchbereich taub ist, bin ich sofort in die Notaufnahme. Dort wurde mir gesagt, dass eine genauere Diagnose tiefergehende Untersuchungen erfordert und mir wurde dringend ans Herz gelegt, meinen Flug nicht anzutreten. Naja, ich war jung, naiv und hatte viel Geld bezahlt. Und bin natürlich trotzdem geflogen.
Ich habe einfach gehofft, dass die Symptome von allein weggehen. Das ist aber leider nicht passiert. Also bin ich in Sydney nochmal in ein Krankenhaus und hatte wirklich Glück, denn die Klinik hatte einen Arzt, der auf neurologische Autoimmunerkrankungen spezialisiert war. Ab da ging alles ganz schnell: Es wurde ein MRT gemacht, zahlreiche Entzündungsherde entdeckt, ich bekam eine Kortisonbehandlung, und die Symptome gingen weg. Aufgrund der Vorgeschichte ging der Arzt zu dem Zeitpunkt aber noch von einem isolierten Ereignis aus. Dennoch hat er mir geraten, mich in regelmäßigen Abständen von einem Jahr untersuchen zu lassen.
Extremer Stress löst bei Eva starke MS-Schübe aus
Wie kam es zu Deiner MS-Diagnose?
Ich habe mich an den ärztlichen Rat gehalten und bin nach meiner Rückkehr zu meiner ersten Kontrolluntersuchung gegangen, die keine Auffälligkeiten zeigte. Trotzdem bin ich danach weiterhin jährlich zur Kontrolluntersuchung gegangen. Und ich weiß noch, wie ich 2013 im Auswertungsgespräch saß und der Arzt auf einmal meinte: „Es tut mir leid, es Ihnen sagen zu müssen, aber Sie haben MS.“ Obwohl ich vollkommen symptomfrei war, hat mein MRT zu dem Zeitpunkt viel Aktivität gezeigt, und die Diagnose war recht eindeutig.
Das sind die zwei Muster, die sich durch meine gesamte MS-Erkrankung ziehen: Erstens, außergewöhnlicher Stress löst bei mir starke und langanhaltende Schübe aus. Und zweitens, meine Symptome passen nicht zu den MRT-Ergebnissen. Denn diese sind immer so schlecht, dass sich manche Ärzte wundern, dass ich überhaupt noch laufen kann.
Wie ging es Dir danach und wie bist Du mit der Diagnose umgegangen?
Ich wurde schon in Australien bei meinem Arztgespräch über MS aufgeklärt und wusste also, was die Erkrankung ist und was sie bedeuten kann. Trotzdem war ich geschockt, weil ich mit der Diagnose nicht im Geringsten gerechnet hatte. Denn ich hatte ja nichts, was ich körperlich gespürt habe. Und ganz ehrlich: Ich bin nach dem Arztbesuch heulend zusammengebrochen.
Hattest Du im weiteren Verlauf Deiner Erkrankung noch weitere Schübe?
Ich hatte bis zu meiner derzeitigen Behandlung so viele Schübe, dass ich nicht mal wirklich sagen könnte, wie viele es waren. Den Tiefpunkt habe ich 2017 erreicht. In dem Jahr war es besonders schlimm und ich war so oft im Krankenhaus, dass ich mir nicht vorstellen konnte, wie ich unter diesen Umständen ein normales Leben führen sollte. Ich musste viele meiner Ziele und Pläne aufgeben. Auch hier kann ich rückblickend sagen, dass ich in einem Teufelskreis aus privatem Stress gefangen war, der meine MS-Symptome intensiviert hat.
Meinen bisher letzten Schub hatte ich 2021 und auch dieser war durch Stress verursacht. Er äußerte sich am Anfang in Problemen mit meinem rechten Bein. Es fühlte sich an, als würde mir die Kraft in meinem Oberschenkel fehlen und ich konnte das Bein nicht so richtig koordinieren. Wenn ich laufen wollte, musste ich mich stark darauf konzentrieren, die richtigen Bewegungen zu machen. Neu war diesmal für mich, dass ich unter Schwindel gelitten habe. Es war egal, ob ich liege, stehe oder laufe, mir konnte auf einmal so schwindelig werden, dass ich davon Migräne bekam. Meine Sicht war dadurch auch eingeschränkt, da ich in solchen Momenten wie eine Art Schleier vor den Augen hatte. Diese Zeit war behandlungsintensiv, mit vielen Kontroll-MRTs und Kortisonbehandlungen. Trotzdem haben die Symptome über mehrere Monate angehalten. Folgen meiner Gehstörung habe ich heute immer noch. Ich habe zwar wieder die Kontrolle über mein Bein, aber der stampfende Gang ist – abhängig von meiner Tagesform – leider geblieben. Seit ein paar Wochen gehe ich deswegen zur Physiotherapie, was mir sehr gut hilft.
Schwindelanfälle und MS: Eine Verhaltenstherapie hilft Eva bei der Angstbewältigung
Du hast viel von Deinen körperlichen Symptomen gesprochen. Beobachtest Du auch kognitive Veränderungen?
Diese halten sich bei mir zum Glück in Grenzen. Klar habe ich auch meine Erfahrungen mit Fatigue und bin auch schneller erschöpft, wenn ich mich stark konzentrieren muss. Wenn ich merke, dass es mir zu viel wird, dann lege ich meine Pausen ein. Auch im sozialen Bereich. Aber das hat keinen gravierenden Einfluss auf mein Leben.
Seit meinem letzten Schub habe ich aber eine Angststörung entwickelt. Sie ist nicht direkt MS-bedingt, aber dennoch eine Folge der Erkrankung. Durch die plötzlichen Schwindelanfälle habe ich eine richtige Angst zurückbehalten. Genauer gesagt fürchte ich mich davor, in der Öffentlichkeit, z. B. im Supermarkt, zusammenzubrechen. Das ging so weit, dass ich Panikattacken hatte bei dem Gedanken, in den Supermarkt zu gehen. Meine große Rettung in diesem Fall war eine Verhaltenstherapie. Da habe ich den Umgang mit diesen irrationalen Ängsten gelernt.
Wie genau sah denn die Verhaltenstherapie bei Dir aus?
Größtenteils war es eine Gesprächstherapie. In meinem Fall einmal monatlich, weil das für mich persönlich ausgereicht hat. Es wurden verschiedene Situationen thematisiert, in denen ich Angst hatte und warum ich diese Angst hatte. Darauf aufbauend wurden dann Lösungsansätze erarbeitet. Zusätzlich wurde ich bewusst und kontrolliert mit meinen Ängsten konfrontiert. Ich musste dann zum Beispiel allein in den Supermarkt einkaufen gehen. Alles zusammen hat bei mir glücklicherweise gut funktioniert und ich wende heute noch vieles an, was ich in der Therapie gelernt habe.
Die MS spornt Eva bei der Erfüllung ihrer Träume an
Hast Du noch weitere Veränderungen aufgrund der MS an Dir bemerkt?
Ich achte viel mehr auf mich und auf gesundheitliche Veränderungen. Und ich bin noch ehrgeiziger geworden. Ich bin aktuell weitgehend symptomfrei und will diese Zeit nutzen. Ich bin voll berufstätig, habe parallel meinen MBA (Master of Business Administration) gemacht und ich bin derzeit noch in einem Managementprogramm meines Arbeitgebers. Ich will bestimmte Ziele in meiner Karriere erreichen, und die MS ist ein zusätzlicher Ansporn dafür geworden. Ich mache auch wieder Urlaube, zwar keine langjährigen Auslandsaufenthalte, aber mein Mann und ich sind durchaus mal zwei Wochen am Stück unterwegs. Generell habe ich das Gefühl, dass mir nach meinem Tiefpunkt eine zweite Chance gegeben wurde, die ich nutzen will. Ich muss aber dazu sagen, dass ich ganz viel Unterstützung erhalte. Und ich wüsste nicht, ob ich ohne die Hilfe meines Mannes, insbesondere in den schwierigen Phasen meiner Erkrankung, alles so gut hätte bewältigen können.
Welchen Rat möchtest Du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Mir geht es im Wesentlichen darum, anderen Mut zu machen. Gerade bei der schubförmigen MS haben wir als Betroffene gute und schlechte Phasen. Ich finde es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass es eben ein Auf und Ab ist und nach einer Zeit, in der die Schübe wieder intensiver sind, auch wieder eine Zeit kommt, in der es nicht so ist.
Gerade Patienten mit einer frischen Diagnose möchte ich gerne sagen: Auch mit der MS ist ein normales, erfülltes Leben möglich. Sowohl privat als auch beruflich!