Am 23. September war es so weit: Der Herbst hat begonnen. Zumindest kalendarisch, denn meteorologisch gesehen begleitet uns die dritte Jahreszeit sogar schon seit dem 01. des Monats. Wie jedes Jahr. Die Ernte ist eingefahren, die Blätter verfärben sich, es wird kälter und nässer und das bedeutet leider auch, dass die Erkältungszeit beginnt. In unserem heutigen Artikel sprechen wir deshalb über das Thema Impfen. Ein kleiner Pikser schützt vor Grippe, Corona und so manch anderer Infektionskrankheit und ist gerade für MS-Betroffene deshalb von großer Bedeutung.
Impfen bei MS – Ist das sinnvoll? Ja, ist es!
Wir möchten Dir das nötige Verständnis über Impfstoffe vermitteln und helfen, eine informierte Entscheidung zum Thema Impfen treffen zu können. Denn gerade in diesem wichtigen Bereich sind viele MS-Betroffene verunsichert und fragen sich: Geht Impfen mit MS überhaupt? Wir wollen dir im Folgenden zeigen, dass es möglich ist.
Übrigens: Du findest alle Informationen aus diesem Artikel und noch mehr auch in unserer Patientenbroschüre Impfen bei MS und der Broschüre speziell zur Corona-Schutzimpfung im Downloadbereich.
Solche Fragen schon mal gehört oder gelesen? Zu keinem anderen Thema gibt es wohl mehr Mythen und Falschinformation wie zum Impfen. Gerade deshalb ist es ja so wichtig, sich sachlich zu informieren. Denn auf den ersten Blick klingen manche dieser Fragen vielleicht noch nicht einmal so weit hergeholt. Bei der Autoimmunerkrankung MS ist immerhin das körpereigene Immunsystem involviert. Somit ist die Vermutung vielleicht naheliegend, dass Impfungen irgendetwas mit dem Auftreten von MS zu tun haben oder Schübe auslösen könnten, aber zum Glück ist dies falsch.
Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Studien, die keinerlei Zusammenhang zwischen Impfungen und dem Ausbrechen von MS beobachten konnten und das gleiche gilt für das Schubrisiko. Hier ist sogar das Gegenteil der Fall: Impfungen beugen Krankheiten vor und vermindern dadurch das Risiko für durch Infektionen ausgelöste Schübe. Denn anders als Impfungen erhöhen bestimmte Krankheiten wie Influenza (echte Grippe), Gürtelrose (Herpes Zoster), Pneumokokken, Masern oder Hepatitis B tatsächlich das Risiko für einen Schub. Ein umfassender Impfschutz ist deshalb gerade für Menschen mit MS besonders wichtig.
Lebendimpfstoff und MS? Empfehlungen der STIKO
Impfen bei MS macht also Sinn, es stellen sich aber Fragen nach dem „Wann“ und „Was“ man impfen sollte. Der Zeitpunkt einer Immunisierung hängt von mehreren Dingen ab, zuallererst von Deinem Gesundheitszustand. Eine Impfung sollte nur dann erfolgen, wenn Du Dich wohlfühlst und keinen akuten Schub erlebst. Wirst Du gerade mit Cortison behandelt? Auch dann sollten Impfungen vermieden werden.
Eine immunsuppressive – oder immunmodulatorische Therapie ist allerdings kein Ausschlusskriterium für eine Impfung. Eine Immunisierung mit Totimpfstoffen ist möglich und mit keinem erhöhten Risiko für Nebenwirkungen verbunden. Der Impferfolg kann aber durch das unterdrückte Immunsystem verringert sein und variiert je nach Therapie.
Allerdings gibt es hier inzwischen ebenfalls Optionen, die eine Impfung jederzeit auch unter Therapieschutz und mit einer vollständigen Immunantwort möglich machen. Frag hierzu am besten Deinen Arzt.
Anders als Totimpfstoffe sind Lebendimpfstoffe bei MS-Betroffene allerdings kontraindiziert und das Nutzen-Risiko-Verhältnis dieser Impfstoffe sollte gründlich abgewogen werden. Vektorimpfstoffe sowie auch mRNA-Impfungen zählen konzeptionell übrigens zu den Totimpfstoffen und sind damit grundsätzlich für MS-Erkrankte geeignet. Was es damit genau auf sich hat, erfährst Du im Abschnitt zur Coronaimpfung und den verschiedenen Impfstofftypen.
In Deutschland entwickelt die Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts Impfempfehlungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Auch Menschen mit MS sollten sich entsprechend dieser Empfehlungen mit Standardimpfungen immunisieren lassen. Dazu gehören u.a. solche gegen Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten oder Masern. Für eine schnelle Übersicht zu diesen Empfehlungen von Kindesbeinen an hat das Robert-Koch-Institut einen Impfkalender herausgegeben, den man hier einsehen kann. (Stand: Januar 2022).
Indikationsimpfungen bei MS: Neues zu Grippe- und Coronaimpfung
Über diese Standardimpfungen hinaus werden für MS-Erkrankte allerdings noch weitere Indikationsimpfungen empfohlen. Dabei handelt es sich um solche, die nur unter bestimmten Bedingungen bzw. für bestimmte Personengruppen empfohlen werden. Dazu gehört allen voran die Impfung gegen das Influenzavirus, die jährlich wiederholt werden sollte. Influenza, allgemein auch als „echte Grippe“ bezeichnet, kann für Menschen mit MS ein Problem sein, da sie ein deutlich erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der Erkrankung und damit einhergehender Komplikationen haben. Darüber hinaus kann eine Infektion das Risiko für einen Schub erhöhen. Eine Impfung wird deshalb von der STIKO für MS-Erkrankte ausdrücklich empfohlen. Die Immunisierung sollte vor Beginn der Grippewelle, also zwischen Oktober und November, erfolgen und muss jährlich erneuert werden, da das Influenzavirus sehr wandelbar ist. Bei den meisten in Deutschland zugelassenen Influenzaimpfstoffen handelt es sich um Totimpfstoffe, diese können also auch für MS-Betroffene jederzeit angewendet werden.
Auch wenn uns das folgende Virus nun schon seit über zwei Jahren begleitet, müssen wir an dieser Stelle natürlich auch noch über Corona sprechen, denn: Die Coronaimpfung samt Booster wird weiterhin von Experten empfohlen, auch für MS-Betroffene. Die derzeit zugelassenen mRNA-, Vektor-, Ganzvirus- und proteinbasierten Impfstoffe gelten als Totimpfstoffe, eine Impfung ist also möglich und von der bisherigen Datenlage ausgehend ist nicht von einem erhöhten Risiko möglicher Nebenwirkungen für MS-Betroffene auszugehen. Die STIKO veröffentlichte im August 2022 neue Empfehlungen zur Coronaimpfung. Darin wird u.a. eine weitere Auffrischungsimpfung für Personen zwischen 60 und 69 Jahren empfohlen sowie die Kontrolle der Impfantwort nach Impfung für bestimmte immun-defiziente bzw. -supprimierte Personen. Darüber hinaus legen die Empfehlungen für bestimmte Patienten unter immunsupprimierender Therapie oder mit angeborenen Immundefekten eine sogenannte passive Immunisierung mittels PrEP (SARS-CoV-2-Prä-Expositionsprophylaxe) nahe. Ob das für Dich relevant ist, solltest Du mit Deinem Arzt besprechen. Weiterführende Informationen zur Corona-Schutzimpfung findest du auch in unserem Artikel unter diesem Link.
Die vollständigen, aktuellen Empfehlungen der STIKO kannst Du hier im Epidemiologischen Bulletin 4/2022 (Stand: Januar2022) im Detail nachlesen sowie die aktualisierte Version hinsichtlich vierter Coronaimpfung und Prophylaxe im Epidemiologischen Bulletin 33/2022 an dieser Stelle (Stand August 2022).
Multiple Sklerose und die Wahl des Impfstoffs – Lebendimpfstoff und Co. in der Übersicht
Dass Impfen bei MS Sinn macht, weißt Du nun also und auch das Wann und Wie wäre geklärt. Aber was ist mit dem Was? Was für Impfstoffe gibt es denn eigentlich und wie wirken diese in unserem Körper? Das klären wir für Dich jetzt noch im folgenden Abschnitt unseres Artikels.
Die Geschichte des Impfens ist sehr eng mit dem Pockenvirus verbunden. Die Pocken sind den Menschen schon seit Jahrtausenden bekannt und haben in dieser Zeit zahlreiche Opfer gefordert. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass man früh versuchte, sich vor dieser Krankheit zu schützen und die Pockenimpfung gemeinhin als das erste „Vaccine“ (deutsch: Impfung) bekannt ist. So nannte der englische Arzt Edward Jenner 1796 nämlich seine Behandlungsmethode, bei der er Menschen durch einen Schnitt in den Oberarm mit Kuhpocken infizierte. Die so Behandelten erkrankten an den für den Menschen harmlosen Kuhpocken und waren im Anschluss ebenfalls gegen das menschliche Pockenvirus immun. Jenner wusste da zwar noch nichts von Viren oder Bakterien, doch das Prinzip der Impfung war bewiesen. Man könnte seinen Impfstoff gemeinhin als Lebendimpfstoff bezeichnen, wenngleich diese heutzutage (zum Glück möchte man sagen) etwas anders funktionieren als zu Jenners Zeiten. Im Folgenden möchten wir Dir einen kurzen Überblick über die verschiedenen Arten an Impfstoffen geben.
- Lebendimpfstoffe
Durch spezielle Verfahren werden Krankheitserreger abgeschwächt und verlieren dadurch ihre krankmachenden Eigenschaften. Allerdings können sie sich weiterhin vermehren und so neben einer spezifischen Immunantwort samt Gedächtnis auch eine absolut ungefährliche „Impfkrankheit“ auslösen. Diese hat ähnliche Symptome wie die eigentliche Erkrankung, heilt aber vollständig aus. Beispiele für diese Klasse der Impfstoffe sind die Impfungen gegen Masern, Röteln, Mumps und Windpocken.
- Totimpfstoffe
Wie der Name schon andeutet, findet bei diesen Impfstoffen keine Vermehrung oder Infektion mehr statt. Die Krankheitserreger sind durch Hitze oder chemische Verfahren abgetötet. Sind die Bakterien oder Viren im Impfstoff danach noch in vollständiger Form vorhanden, spricht man von Vollimpfstoffen (dies gilt auch für Lebendimpfstoffe). Oftmals enthalten die Präparate allerdings keine vollständigen Krankheitserreger mehr, sondern nur Bruchstücke (Spaltimpfstoffe), die spezifischen Bestandteile der Erreger, die die Immunantwort auslösen (Subunit-Impfstoffe) oder sogar nur inaktivierte Giftstoffe der Erreger (Toxoidimpfstoffe). Totimpfstoffe werden heutzutage z.B. gegen Diphtherie, Tetanus, Hepatitis B, Polio oder Keuchhusten (Pertussis) eingesetzt.
- Vektorimpfstoffe
Hier benutzt man den genetischen Bauplan für ein Protein des Krankheitserregers in Form von DNA (= Desoxyribonukleinsäure, universeller Speicher der Erbinformation in allen Lebewesen). Diese packt man in ein für den Menschen harmloses Virus, das nicht mehr oder nur begrenzt vermehrungsfähig ist. Dennoch können diese Viren menschliche Zellen infizieren und den DNA-Bauplan in diese einschleusen. Dort wird daraus der gewünschte Bestandteil des Krankheitserregers hergestellt und erscheint auf der Oberfläche unserer eigenen Zellen. Unser Immunsystem erkennt das fremdartige Protein und bildet eine Immunreaktion samt Gedächtnis. In diese Kategorie fallen der Ebola-Impfstoff sowie bestimmte Corona-Schutzimpfungen.
Eine anschauliche Erklärung zu Vektorimpfstoffen in Videoform gibt es übrigens von der Swissmedic, der Schweizer Zulassungsbehörde für Arzneimittel, unter diesem Link.
- mRNA-Impfstoffe
mRNA fungiert als Zwischenglied zwischen der genetischen Information der DNA und den fertigen Proteinen, ähnlich einem Datenträger mit einem Bauplan darauf. Für diese Klasse der Impfstoffe wird die mRNA eines Krankheitserregers verwendet, aus der ein bestimmtes Protein hergestellt werden kann. Die mRNA wird in Fetthüllen, sogenannte Lipidnanopartikel, verpackt, die von unseren Körperzellen aufgenommen werden können. Dort werden die zelleigenen Mechanismen genutzt, um aus der mRNA das Protein des Krankheitserregers herzustellen. Dieses wird an die Zelloberfläche transportiert und unser Immunsystem kann darauf reagieren. Der erste jemals zugelassene mRNA-Impfstoff war im Übrigen gleichzeitig der erste jemals zugelassene COVID-19-Impfstoff.
Auch zu mRNA-Impfstoffen hat die Swissmedic ein tolles Video produziert, das ihr unter diesem Link findet.
Immunsystem und Antikörper – Was passiert beim Impfen – und zwar nicht nur bei MS - im Körper?
Bei einer Impfung nutzt man die natürlichen Abwehrmechanismen unseres Körpers. Unser Immunsystem teilt sich in zwei Bereiche auf, das angeborene und das adaptive bzw. erworbene Immunsystem. Zweiteres ist für das Impfen entscheidend, denn neben einer spezifisch auf einen Krankheitserreger ausgerichteten Immunantwort durch Bildung zielgerichteter Antikörper, bietet das erworbene Immunsystem noch einen weiteren wichtigen Vorteil. Es wird ein immunologisches Gedächtnis entwickelt. Das heißt, dass bei erneutem Kontakt mit demselben oder einem ähnlichen Krankheitserreger eine schnelle und effektive Antwort unseres Immunsystems erfolgen kann. Mehr zu dieser Immunantwort findest Du hier in diesem Artikel.
Beim Impfen zielt man genau auf dieses immunologische Gedächtnis ab. Unser Immunsystem reagiert auf den Impfstoff und entwickelt eine spezifische Immunantwort samt Gedächtnis. Kommen wir jemals mit dem echten Krankheitserreger in Kontakt, ist unsere Immunabwehr vorbereitet und kann diesen schnell und effektiv bekämpfen. So wird eine Erkrankung im Bestfall verhindert oder zumindest substanziell gemildert.
Auch im MS-Klartext mit Prof. Meuth sprechen wir über den Aufbau des Immunsystems. Wenn Dich das Thema interessiert, solltest du deshalb unbedingt einen Blick auf das Interview mit Prof. Meuth und unseren Artikel über das Immunsystem werfen.
Kleiner Pikser mit großer Wirkung
Impfen ist ein wichtiges Thema, aber auch eines, das mit vielen Zweifeln und Unsicherheiten behaftet ist. Wir hoffen, dass wir Dir ein paar davon nehmen konnten. Deinen persönlichen Impfstatus besprichst Du aber am besten mit Deinem Arzt, insbesondere da Nach- und Auffrischungsimpfungen immer auf Deine MS-Therapie abgestimmt werden müssen.
Noch tiefergehende Informationen zum Thema bekommst Du dafür in der Patientenbroschüre Impfen bei MS und unserer Broschüre speziell zur Corona-Schutzimpfung bei uns im Downloadbereich. Wie sieht es bei Dir aus? Lässt Du dich gegen Grippe impfen? Oder hast Du noch Fragen zum Thema Impfen bei MS? Dann teile sie mit uns und der Community bei Facebook und Instagram. Bis dahin gilt für Herbst, Winter und ganz allgemein: Impfen ist ein kleiner Pikser mit großer Wirkung.
DE-NONNI-00278 (09/2022)