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Katrins hoffnungsfroher Umgang mit der MS spiegelt sich nicht nur in ihrer Musik
Katrin (46) hat auch mit MS und einer Brustkrebserkrankung ihre positive Einstellung nie verloren. Ganz im Gegenteil: Sie kämpft sich immer wieder zurück ins Leben und lebt ihren Traum. Sie macht Musik, tritt auf und hat inzwischen auch ein eigenes Album aufgenommen.
Caro (36) betreibt zusammen mit Andreas (62) das Tonstudio, das Katrin dies ermöglicht. Die beiden stehen schon seit langem selbst auf der Bühne und leben von Musik und Kreativität. Sie versuchen immer, neuen Künstlern eine Chance zu geben, und bei Katrin war es etwas ganz Besonderes.
Aus der Zusammenarbeit ist mittlerweile eine echte Freundschaft geworden. Nach unserem Gespräch mit Katrin vor einem Jahr fragen wir gerne nach, wie sie den Weg seitdem miteinander beschritten und gemeistert haben.
Katrin verfolgt ihren Traum – Ungeachtet Trigeminusneuralgie und MS
Katrin, wie erging es Dir seit unserem letzten Interview vor einem Jahr?
Katrin: Im Großen und Ganzen war alles sehr positiv. Die Arbeit mit Caro und Andreas gibt mir viel Energie. Zwar hatte ich am Anfang auch Sorgen, weil ich ja einen Vertrag unterschrieben hatte. Was wäre gewesen, wenn ich auf der Hälfte der Strecke nicht mehr gekonnt hätte? Aber dieses Gefühl war schnell verflogen und eher das Gegenteil stellte sich ein, weil es sich so positiv auf mich ausgewirkt hat. Ich habe mich von Termin zu Termin gearbeitet, habe mir immer gesagt, den schaffst du jetzt auch noch, und wir hatten glaube ich nie auch nur einen, den wir wegen der Krankheit hätten absagen müssen. Selbst die Auftritte geben mir eher Kraft, als dass sie sie mir nehmen. Danach muss ich mich vielleicht einen Tag mehr ausruhen als jemand anderes, aber die Sorgen vom Anfang habe ich jetzt nicht mehr. Das beflügelt mich und zeigt mir, dass es geht.
Hat Dich Deine MS in dieser Zeit dennoch beeinflusst?
Katrin: Ich habe weiter mit meiner Trigeminusneuralgie und meinem Rücken zu kämpfen. Ich habe einfach mehr Kraft in der rechten Seite, die linke schleppt man immer unbewusst mit. Das geht auf den Rücken und wenn ich zwischendurch mal wieder vergesse, den Hocker mit zum Einsingen zu nehmen, dann kann es schon sein, dass ich das am Ende des Tages bereue. Mein Mann und ich hatten ja schon vor einiger Zeit unsere Wohnsituation geändert und von unserem dreistöckigen Haus in einen Bungalow gewechselt. Den haben wir damals gebaut, weil er irgendwann keine ruhige Minute mehr hatte, wenn ich allein zu Hause war. Ich mache mir also die Sachen einfacher und man entwickelt Techniken, um mit den Problemchen besser umgehen zu können. Sei es daheim oder im Studio mit einem Hocker beim Singen.
Andreas: Katrin ist so ehrgeizig. Sie will teilweise gar nicht wahrhaben, dass sie eine Pause braucht. Das muss dann immer ich erkennen. Wenn sie zum Beispiel das Lachen vergisst beim Singen, dann weiß ich, dass der Punkt erreicht ist. Es hat ja zum Beispiel auch drei Produktionen gedauert, bis sie mir gesagt hat, dass sie auf dem einen Ohr taub ist. Das muss man sich mal vorstellen, hat die Kopfhörer auf und hört gar nichts, singt dann aber so schön und sauber. Sie ist wirklich ein Phänomen.
Gehen wir doch nochmal einen Schritt zurück. Wie kam es denn eigentlich zu eurer Zusammenarbeit?
Katrin: Letztendlich war es mein Mann, der uns zusammengebracht hat. Während meiner Chemotherapie 2014 habe ich mir eine „Bucket-List“ geschrieben und da stand unter anderem darauf, einen Song in einem professionellen Tonstudio aufzunehmen. Es war dann aber erst Weihnachten 2016, dass er mir einen Gutschein dafür geschenkt hat, und die Aufnahme fand, wie es der Zufall so will, bei Andreas und Caro im Studio statt. Wir haben damals meinen Wunschsong aufgenommen und schon damals meinte Andreas, dass es schade wäre, dass ich nicht mehr mit meiner Stimme mache. Früher – als Kind und Jugendliche – habe ich im Chor und als Solistin gesungen, dann irgendwann „nur“ noch zu Hause. Das änderte sich, als mich eine Bekannte fragte, ob ich nicht auf ihrer Hochzeit singen möchte und da ich das gerne professionell machen wollte, bin ich wieder mit Andreas und Caro in Kontakt gekommen. 2019 hatte ich dann tatsächlich viele Auftritte auf Hochzeiten und schon damals hat mir Andreas immer wieder gesagt, dass er gerne etwas Eigenes mit mir machen würde. Ich musste dann aber Ende des Jahres wegen meiner MS auf Reha und mich zurück auf die Beine kämpfen. Es war dann im Frühjahr 2020, dass Andreas mich nochmal gefragt hat, ob wir gemeinsam ein Album aufnehmen wollen. Ein paar Tage später habe ich tatsächlich den Plattenvertrag bei ihm unterschrieben. Danach musste mich auch erstmal jemand kneifen, so unwirklich war das.
Andreas: Für uns war immer wichtig, dass wir für Katrin nur als Unterstützung da sind und sie selbst die Führung übernimmt. Sie sollte sich ausleben und Sachen aus ihrem Leben erzählen, ihre Texte also mit erarbeiten. Dafür musste sie sich öffnen, was sie auch getan hat. Auch wenn es am Anfang vielleicht nicht ganz einfach war. Heute sind wir aber sehr gut befreundet und da klappt das super.
Katrin: Es ist manchmal wirklich witzig, wenn man den beiden nur ein paar Punkte liefert und dann einen fertigen Text zurückbekommt, bei dem man sich fragt: „Wie kommt es, dass sie mich nach kurzer Zeit schon so gut kennen?“. So etwas funktioniert nur, wenn man sich untereinander wirklich versteht, und das Gefühl hatte ich bei den beiden von Anfang an.
Caro: Das haben wir auch so empfunden und uns auch deshalb dazu entschlossen, den Weg zusammen mit ihr zu gehen. Wir haben ihr nie versprochen, dass sie ganz groß rauskommt, sondern waren immer realistisch. Trotzdem ging es nur um Katrin und darum, ihren Traum zu verwirklichen. Ihre Erkrankung ist dabei natürlich präsent und so ein Lied holt dann möglicherweise einiges an Gefühlen hoch. Dann macht man eben Pause oder am nächsten Tag weiter. Das war zwischen uns nie ein Problem und hat die Arbeit mit Katrin auch so besonders gemacht. Wir sind alle sehr stolz auf das fertige Ergebnis.
Katrins Erfahrung - Offener Umgang mit der Multiplen Sklerose, auch auf der Arbeit, kann sich auszahlen
Katrin, bist Du Andreas und Caro gegenüber von Anfang an offen mit Deiner Erkrankung umgegangen?
Katrin: Absolut. Seit unserem allerersten Zusammentreffen.
Caro: Warum sollte man damit auch nicht offen umgehen?
Katrin: Den Fehler habe ich am Anfang mit meiner MS gemacht. Mit Freunden und meinem Umfeld. Da war es dann teilweise so, dass die Leute nicht verstanden haben, warum ich mal hier oder da nicht mitgekommen bin. Oder warum ich weniger arbeite. Ich habe versucht, es zu verstecken, bis ich festgestellt habe, dass das der verkehrte Weg ist. Ich sage das auch immer in den MS-Communities, wenn ein neudiagnostizierter Betroffener auf mich zukommt. Geht offen damit um. Ihr tut euch selbst keinen Gefallen, wenn ihr euch versteckt. Das müssen wir nämlich gar nicht.
Andreas und Caro, wusstet ihr denn schon vor der Zusammenarbeit mit Katrin, was MS ist?
Andreas: Ein bisschen, denn die Frau unseres Bekannten hat es auch. Aber informiert haben wir uns nie so richtig darüber. Das kam erst mit Katrin. Caro hat gegoogelt, ich habe immer gefragt: „Wie geht`s dir?“, „Ja, mir geht’s gut.“, „Das sieht aber nicht so aus.“.
Katrin: Das ist die eine Frage, die wahrscheinlich kein MS-Betroffener gerne hört.
Caro: Ich glaube, dass wir mittlerweile das auch nicht mehr so oft tun.
Auch im Umgang mit der MS spielt die Relation eine große Rolle
Habt ihr euch speziell auf die Zusammenarbeit mit Katrin vorbereitet?
Andreas: Generell ist es so, dass ich am Anfang ja erstmal Dienstleister bin. Ich hatte hier auch schon einen Neunzigjährigen, der nicht mehr laufen konnte, aber trotzdem seinen Traum von einer Aufnahme verwirklichen wollte. Ich will einfach mit den Menschen klarkommen und keine Krankheiten analysieren. Katrin hat man es ja auch gar nicht so angesehen, dass sie eine hat. Das hat man erst mit der Zeit gespürt und dann eben einfach mehr Pausen gemacht, Aufnahmen unterteilt oder wiederholt.
Caro: Wenn man im Tonstudio ist, soll man den Kopf freibekommen und alles andere vergessen. Das war auch die Intention von Katrins Mann, als er ihr den Gutschein geschenkt hat. Ablenkung. Erst, als Katrin dann angefangen hat, auf Hochzeiten aufzutreten und wir das begleitet haben und damit der Plan gereift ist, etwas Eigenes zu machen, das hat die Zusammenarbeit dann vertieft. Das ist aber erst mit der Zeit entstanden und da kannten wir uns ja schon eine ganze Weile.
Andreas: Man lernt dazu, man lernt sich kennen. Auch die MS. Wenn heute jemand zu mir kommen würde, der auch betroffen ist, ich würde mich nicht anders verhalten als bei Katrin. Ich hatte nie das Gefühl, dass sie wahnsinnig schwer krank ist. Wenn sie hier war, dann war sie es vollkommen und hat Gas gegeben. Natürlich gab es auch Tage, an denen man gemerkt hat, dass es einfach nicht geht. Aber dann wiederholt man es eben nochmal. Man soll schon das Gefühl haben, dass man etwas geschafft hat, wenn man im Studio ist. Das wollten wir für Katrin auch an nicht so guten Tagen erreichen. In solchen Situationen habe ich auch mal die Wahrheit etwas verbogen und gesagt, dass eine Aufnahme sehr gut war. Damit Katrin mit einem guten Gefühl nach Hause gehen kann und nicht frustriert ist über eine Situation, für die sie absolut nichts kann. Später habe ich dann angerufen und gesagt, dass mir ein Fehler unterlaufen ist und wir die Aufnahme wiederholen müssen.
Wie sieht es bei Liveauftritten aus? Eine solche Performance ist ja eine große körperliche Herausforderung.
Andreas: So ein Auftritt kostet schon Kraft, aber in dem Moment, in dem man auf der Bühne steht, produziert man so viel Adrenalin, dass man alles vergisst. Alles geht weg – nur die Stimme hoffentlich nicht. Es ist eine echte Befreiung. Die Nervosität, die dann in Euphorie übergeht, dann kommt der Applaus und alles fällt von dir ab. Über eine Krankheit denkst du in der Zeit nicht nach.
Caro: Da ist man in seinem Film, macht sein Programm, moderiert und performt. Letztes Jahr hatten Katrin, eine weitere Kollegin und ich ein Konzert zu dritt. In der Situation haben wir Katrins MS quasi vergessen. Erst im Nachhinein wurde mir wieder bewusst, was das für eine Leistung von Katrin war. Keiner hätte irgendetwas von ihrer Krankheit mitbekommen, wenn Katrin es nicht erwähnt hätte. Sie ist auch nicht diejenige, die wehleidig durch die Gegend läuft. Es beeindruckt mich, dass sie mit mehr Energie durchs Leben geht als so manch gesunder Mensch. Da können wir uns eine Scheibe davon abschneiden.
Katrin: Bei dem Auftritt standen drei Stühle auf der Bühne. Wenn ich Pause hatte, habe ich mich hingesetzt. Die anderen beiden genauso. Das klingt jetzt vielleicht auch komisch, aber meine Krebserkrankung hat mir den Umgang mit der MS vielleicht auch ‚vereinfacht‘. Ich sage mir immer: An dem Krebs hättest du sterben können, an der MS wirst du das wahrscheinlich nicht.
Katrins kompromissfreies Leben mit MS: „Musik fühlt sich wie zu Hause an.“
Welche Bedeutung hat Musik für Dich, Katrin?
Katrin: Mein Vater sagte immer, dass ich eher gesungen als gesprochen habe. Musik hat mich von Kindesbeinen an mein ganzes Leben begleitet. Auch während der Chemotherapie habe ich viel Musik gehört, war aber nicht in der Lage, sie selbst zu machen. Als ich dann den ersten Song bei Andreas und Caro eingesungen habe, bin ich danach in der Aufnahmekabine gewesen und habe erstmal geheult. Ich war so emotional, weil das Lied einfach perfekt zu mir und meinem Mann gepasst hat. Das finde ich das Schöne an Musik: Sie transportiert Emotionen und verändert sie auch.
Würdet ihr sagen, dass Musik eine Art Therapie ist?
Katrin: Definitiv. Musik fühlt sich wie zu Hause an.
Caro: Das empfinden viele Menschen so.
Andreas: Ich leite auch einen Chor und man hat da oft Leute, die zu Beginn unglaublich nervös sind, sich nach einer Stunde aber entspannen und viel gelassener werden. Auch über die Zeit hinweg. Die Leute verändern sich, denn Singen tut einfach gut. Es ist ein echtes Glücksgefühl und macht viel mit dir.
Was von der Reise, die Du mit dem Krebs und der MS hinter Dir hast, findet Einfluss in Deine Lieder, Katrin?
Katrin: Die Gefühle, die man damit hat, vielleicht. Ich will aber nicht nur meine „Krankengeschichte“ erzählen, sondern vor allem das positive in meinem Leben rüberbringen.
Andreas: Bei Katrin gibt es ja so viel mehr als nur die MS. Einen tollen Partner zum Beispiel. Wir wollen immer das Positive aus den Geschichten, die sie uns erzählt, herausziehen.
Caro: Musik soll nicht deprimierend sein. Eher genau das Gegenteil: Sie muss einem Power geben und Interpretationsspielraum haben. Jeder soll sich seine eigene Bedeutung herausziehen.
Katrin, Du beschreibst uns ja sehr positive Erfahrungen als Musikerin mit MS. Wie sah es bei Dir nach Deiner Diagnose hinsichtlich Arbeiten mit MS aus?
Katrin: Als ich die Diagnose MS bekam, hatten mein Mann und ich uns schon mit unserem Immobilienmaklerbüro selbstständig gemacht. Ich habe damals den Fehler gemacht und habe die Krankheit völlig ignoriert. Ich bin quasi durchs Leben gerannt. Nach den Schüben zu Anfang der Erkrankung war ich wieder symptomfrei und dachte: Gut, ich habe es hinter mir und jetzt passiert auch nichts mehr. Ich hatte wegen der Selbstständigkeit gar keine Zeit, mir darüber mehr Gedanken zu machen. Seit meiner Krebserkrankung arbeite ich allerdings gar nicht mehr als Maklerin, sondern helfe nur im Hintergrund aus.
Was würdet ihr Arbeitgebern für die Arbeit mit MS-Betroffenen als Empfehlung mit an die Hand geben?
Andreas: Dass man flexibel sein muss. Letztendlich ist es eine Frage des Wollens. Caro und ich haben ja auch Angestellte und man sollte sich immer fragen, was einem wichtiger ist: Ein loyaler Mitarbeiter, der MS hat, oder jemand Gesundes, der die Arbeit nicht wirklich machen will und nur körperlich anwesend ist.
Caro: Konflikte lassen sich vermutlich bei keiner Krankheit vermeiden, aber man kann immer reden. Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden. Das gilt für beide Seiten, Arbeitgeber und Betroffene. Bei uns war es so, dass an vielen Stellen Katrin das Tempo vorgegeben hat. Wenn sich das auf andere Angestelltenverhältnisse übertragen lassen kann, dann wäre das super. Man kann als Betroffener auch selbst konstruktive Vorschläge einbringen, denn natürlich ist es eben eine Veränderung auf beiden Seiten. Man muss Lösungen finden und ich glaube, dass das funktionieren kann.
Wie sieht die Zukunft eurer Zusammenarbeit aus?
Andreas: Ich glaube nicht, dass ich hier wirklich von Arbeit sprechen würde. Für uns ist es in eine Freundschaft übergegangen. Deshalb bin ich mir sicher, dass wir immer einen Weg finden, dass es weitergeht. Vielleicht fahren wir auch erstmal gemeinsam in den Urlaub.
Katrin: Alles kann, nichts muss! Wir lassen es einfach auf uns zukommen. Das mache ich allgemein so. Ich lebe den Moment und was kommt, das kommt und ich lasse mich darauf ein. Was nicht passiert, das passiert eben nicht. Sonst würde man ja jeden Tag mit Angst leben.
Andreas: Und das wäre ein großer Fehler, denn dann kann man ja nichts mehr genießen.
Vielen Dank, Katrin, Caro und Andreas, dass ihr uns an eurer Geschichte teilhaben lasst!
DE-NONNI-00266 (08/2022)