Wann wurde bei Dir die Diagnose Multiple Sklerose gestellt? Und aufgrund welcher Beschwerden wurdest Du untersucht?

Die Diagnose habe ich zwischen 2003 und 2004 bekommen. Aber erste Symptome, die ich heute der MS zuordnen würde, zeigten sich schon 1997. Ich war immer wieder aus unerklärlichen Gründen gesundheitlich angeschlagen. Zum Beispiel hatte ich wiederholt Ausfälle beim Sehen. Wenn ich vor dem Computer gesessen habe, habe ich plötzlich nur noch die Hälfte des Bildschirms gesehen. Die Beschwerden wurden aber immer nur symptomatisch behandelt. Das war auch so, als ich nach einer Operation eine schwere Trigeminusneuralgie* entwickelt habe. Erst als ich linksseitig deutlich eingeschränkt war, haben mich Freunde aus Berlin darauf gebracht, das einmal neurologisch untersuchen zu lassen. Sie hatten Bekannte in der Neurologie der Berliner Charité. Also habe ich mich dort auf den Kopf stellen lassen, um abzuklären, was wirklich los ist – dort wurde dann die Diagnose Multiple Sklerose gestellt. Für mich war es eine Erleichterung, weil diese Ungewissheit nun vorbei war. Ich musste endlich nicht mehr von Arzt zu Arzt zu rennen, wo man mich teilweise schon als Simulantin hingestellt hat. Dabei stand der Verdacht schon in meinen Unterlagen aus einem früheren Klinikaufenthalt. Man hat es mir aber nie gesagt. Das habe ich alles erst dann erfahren.

* Anmerkung der Redaktion: Die Trigeminusneuralgie ist eine Schmerzerkrankung, die den Trigeminusnerv im Gesicht betrifft, genauer gesagt den Bereich Stirn, Augen, Kinn, Ober- und Unterkiefer sowie das Kinn. Sie tritt häufig bei MS-Erkrankten auf. Dabei ist die Myelinschicht des Trigeminusnervs geschädigt, also die Schicht der Nervenfasern, die für eine optimale Weiterleitung der Impulse sorgt. In der Folge kommt es zu starken, plötzlich einschießenden Schmerzen im Gesicht. Auslöser der Schmerzattacken können unter anderem äußere Einflüsse wie Zugluft oder sehr niedrige Temperaturen sein, aber auch Alltagsaktivitäten wie Zähneputzen, Sprechen oder Berührungen der Gesichtshaut.

Wie hat die Diagnose MS Deinen Alltag verändert?

In den ersten Jahren habe ich es noch relativ stark versteckt. Ich habe es heruntergespielt, weil ich noch keine so starken Beschwerden hatte. Ich dachte, da gibt es Menschen, die schlimmer dran sind. Mein Mann und ich haben ein Immobilienbüro, und als Selbstständige habe ich einfach weiter gemacht und bin buchstäblich darüber hinweggerannt. Ich habe immer sehr viel gearbeitet, aber jeder MSler weiß wohl, dass Stress nicht gut für uns ist und was jetzt kommt: Ich hatte immer öfter Probleme, wenn auch keine schweren Schübe. Da ist mir zum ersten Mal klar geworden, dass ich offener damit umgehen sollte. Trotzdem hat es mich damals noch nicht so stark beeinflusst, MS zu haben

2013 wurde bei Dir Brustkrebs festgestellt. Wie hast Du diese Zeit erlebt?

Die MS ist nach der Brustkrebsdiagnose verständlicherweise erst einmal in den Hintergrund gerückt. Ich bekam Chemotherapien, eine Bestrahlung und wurde mehrfach operiert. Das war die erste Phase in meinem Leben, in der ich dachte „Okay, mit der MS kann ich gut leben, aber an Brustkrebs kann ich wirklich sterben.“
Zumindest theoretisch, denn das Gefühl, dass ich bald sterbe, hatte ich eigentlich nie. Ich habe mich gefühlt, als schaute ich mir selbst in einem Film zu. Ich war körperlich in einem Kampfmodus, musste die ganzen Medikamente und Nebenwirkungen verpacken und brauchte viel Ruhe. Im Endeffekt war es für mein Umfeld viel schlimmer als für mich selbst.

Allerdings hatte ich nach der Krebstherapie drei Jahre lang keine MS-Beschwerden – nicht einen Schub. Den ersten wirklich schweren hatte ich erst 2019. Der war allerdings so schlimm, dass ich ohne Stock nicht laufen konnte. Die Prognose war auch sehr schlecht. In der Klinik, in der ich dann war, ging man davon aus, dass ich nie wieder richtig laufen können würde. Ich habe aber darauf bestanden, nach Hattingen in die Klinik zu gehen, in der ich bereits einige Reha-Maßnahmen gemacht hatte. Dort fühle ich mich wohl, und man hat mir dort immer sehr gut helfen können. Ich denke, das liegt daran, dass ich das auch wirklich mit aller Kraft wollte und mich so selbst motiviert habe.

MS ist die Erkrankung der 1.000 Gesichter. Welche weiteren Symptome zeigen sich bei Dir?

Bei der MS werden ja die Myelinscheiden zerstört, dadurch die darunterliegenden Nervenfasern freigelegt und im weiteren Verlauf geschädigt. Bei mir betrifft das den Rücken, es liegen hier also Nerven frei. Das führt dazu, dass meine linke Körperhälfte eingeschränkt ist und es zu Lähmungserscheinungen kommt. Ich habe dadurch eine Fehlhaltung und gelegentlich starke Schmerzen. Als es besonders schlimm war, konnte ich sowohl durch die Schmerzen als auch durch die Lähmung linksseitig nicht mehr laufen. Das habe ich allerdings durch die Reha ganz gut in den Griff bekommen, sodass Menschen, die mich nicht kennen, mir das wahrscheinlich nicht ansehen.

Welche Strategien hast Du für Dich gefunden, um den Alltag mit MS zu erleichtern?

Ein guter Schritt war, dass wir umgezogen sind. Wir haben vorher in einem Haus mit drei Etagen gewohnt, mit Waschmaschine und Trockner im Keller. Das sah dann so aus, dass ich mir für die Wäsche einen Rucksack gepackt habe, damit ich mich festhalten oder mit dem Stock laufen konnte. Mein Mann hat dann aus Sorge den Anstoß dazu gegeben, einen Bungalow zu bauen. Dort wohnen wir jetzt. Hier ist alles so angepasst, dass ich mich gut bewegen kann, auch wenn die Einschränkungen wieder zunehmen sollten oder im schlimmsten Fall dauerhaft werden.

Außerdem bin ich sehr willensstark, setze mir ständig neue Ziele und tue dann alles, um sie zu erreichen. Zum Beispiel in der Physiotherapie: Ich wollte immer einen Schritt weiter gehen. Wenn ich es an einem Tag geschafft hatte, eine Strecke ohne Stock zu gehen, habe ich mir für den nächsten Tag vorgenommen, den Weg nicht nur hin, sondern auch zurück zu gehen – immer mit Unterstützung durch meinen Mann und die Familie. Ich kann auch seit dem letzten Jahr wieder Fahrradfahren. Das ging lange nicht wegen des Gleichgewichtssinns. Ich wollte das aber immer wieder ausprobieren und habe es dann irgendwann gewagt mit dem alten Rad meiner Schwiegermutter. Und ja: Tada! Es klappt.

Ich glaube, dass ich von Natur aus ein sehr dankbarer Mensch bin. Ich suche immer Kleinigkeiten, an denen ich mich erfreuen kann. Diese Grundglücklichkeit kann mir niemand und nichts nehmen. Nicht der Krebs und auch die MS nicht.

Gibt es weitere Kraftquellen für Dich?

Ich reite so oft wie möglich. Ich habe ein Pony im Rahmen einer Reitbeteiligung. Ich finde, Pferde sind sowohl für die Seele als auch für den Körper einfach die besten Therapeuten, weil man sich der Bewegung des Tiers nicht entziehen kann und sich mitbewegt. Und dann ist da die Musik. Neben meinem Mann und meiner Familie ist das das, wofür ich lebe und ganz darin aufgehe.

Ich hatte das große Glück, an Andreas Lebbing von der Musikgruppe WIND geraten zu sein. Mein Mann hatte mir kurz nach meiner Krebserkrankung einen Gutschein für professionelle Aufnahmen in einem Tonstudio geschenkt, so sind wir in Kontakt gekommen. Und schon da hatte Andreas Lebbing gesagt, dass es eigentlich viel zu schade ist, dass ich mit meiner Stimme nicht mehr mache als privat zu singen. Zu diesem Zeitpunkt war ich aber noch nicht soweit und auch körperlich nicht fit. Die Idee habe ich aber im Hinterkopf behalten. Und dann hat er mir 2020 angeboten, einige Songs für mich zu schreiben. Genauer gesagt wollte er meine Geschichten zusammen mit Texten von Carolin Frölian in Songs umwandeln.

Im Sommer 2021 hatten wir ein Benefizkonzert für die Flutopfer in Bocholt am Aasee. Dort durfte ich mit mehreren Künstlern auftreten, um Spenden zu sammeln. Für mich ist es etwas sehr Großes, dabei sein zu dürfen.

Gab es einen Menschen, der Dich besonders inspiriert oder motiviert hat?

Mein Mann, immer! Mit ihm habe ich die beste Motivationsquelle an meiner Seite. Er verliert nie den Mut, zieht mich mit nach oben. Es gab Momente während meiner Krebserkrankung, da dachte ich, ich schaffe es nicht. Es gab Menschen, die sich bereits von mir verabschiedet hatten. Aber er hat nie aufgegeben.

Welche persönliche Empfehlung möchtest Du anderen Betroffenen für den Umgang mit MS geben?

Geh auf jeden Fall offen damit um! Für uns MSler gibt es keinen Grund, sich zu verstecken! Wir haben schließlich nicht die Pest! Lern Deinen Körper kennen und setze Grenzen, wo sie nötig sind. Das musst auch nur Du verstehen, aber Dein Umfeld sollte es wissen.

Ich kann nur dazu raten, es auf keinen Fall so zu machen wie ich am Anfang und darüber hinwegzugehen. Zu denken, man könnte einfach so weitermachen wie bisher, geht definitiv nach hinten los. Das erhöht den Stresspegel und wird schlimmstenfalls Symptome auslösen.

Man sollte aber auch nicht in Selbstmitleid verfallen, denn das bringt genauso wenig, beziehungsweise verschlimmert es alles. Denk darüber nach, ob Du psychologische Hilfe in Anspruch nehmen möchtest – ob Du das brauchst. Diese Menschen hören ganz anders zu und geben andere Impulse. Mir hat es zwischenzeitlich sehr geholfen, dass mal jemand zugehört hat, der nicht aus der Familie oder dem Freundeskreis kam.

Schau auf die Momente, die schön sind und in denen Du Dich gut fühlst. Die gibt es, auch wenn Du suchen musst. In diesen Momenten weißt Du, dass Du einfach alles richtig machst. Die solltest Du festhalten und Dir bewusst machen, dass Du in diesem Augenblick glücklich sein darfst.

Darum geht es auch in meinem Song „In diesem Augenblick“. Das Leben ist endlich. Mit ziemlicher Sicherheit sterbe ich nicht an der MS, aber an irgendetwas anderem irgendwann. Und deswegen möchte ich jeden einzelnen Moment im Leben genießen, aufsaugen und mich daran auftanken.

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DE-NONNI-00376, (01/2023)