Seit gut 40 Jahren arbeitet Heike Wildangel in der Pflege, ist heute unter anderem in der DRK Kamillus Klinik in Asbach als MS-Fachberaterin tätig. Während ihrer Weiterbildung zur Aromaexpertin im Bereich Aromapflege, die sie 2013 abschloss, befasste sie sich intensiv mit der Wirkung ätherischer Öle. Seitdem nutzt sie ihr Wissen über die duftenden Substanzen, um auch bei MS-Patienten Leiden zu lindern. „Das Ziel der Aromapflege ist es, die Balance von Körper, Geist und Seele zu fördern“, sagt die 59-Jährige.
Frau Wildangel, wie sind Sie zu der Weiterbildung gekommen?
Schon als Kind war ich in den Fußstapfen meiner Großmutter unterwegs, die immer sagte: „Gegen alles ist ein Kraut gewachsen.“ Als mein 50. Geburtstag sich näherte, dachte ich mir, das kann noch nicht alles gewesen sein. Als ich dann einen Flyer über eine Weiterbildung in dem Bereich Aromapflege fand, stand mein Entschluss fest.
Was versteht man unter Aromapflege?
In der Aromapflege arbeite ich mit ätherischen Ölen. Das sind biochemische Vielfachgemische, produziert durch den Pflanzenstoffwechsel und gespeichert in den Öldrüsen verschiedener Pflanzenteile. Sie können gewonnen werden mithilfe unterschiedlicher Verfahren, zum Beispiel Destillation, Kaltpressung oder Extraktion. In der Weiterbildung habe ich gelernt, welche Wirkung und welche biochemische Zusammensetzung die verschiedenen Öle haben.
Wo ist der Unterschied zur Aromatherapie?
Eine Therapie ist eine ärztliche Maßnahme. In der Aromapflege arbeite ich mit ätherischen Ölen in einem Konzentrationsbereich von bis zu drei Prozent. Das sind ganz niedrige Dosierungen: Auf 5 ml Trägeröl kommen 3 Tropfen ätherisches Öl.
Ätherische Öle sind hochwirksam. Deshalb sollte man auch nicht großzügig mit ihnen umgehen. Wenn ich zum Beispiel ein Pfefferminz- oder Eukalyptusöl habe, was einen hohen Monoterpenketonanteil* hat, dann kann ich damit nicht bei Patienten arbeiten, die ein Krampfleiden haben. Auch für Kleinkinder ist das Öl nicht geeignet.
* Monoterpenketone sind eine Inhaltsstoffgruppe ätherischer Öle, die deren Wirkweisen mitbestimmen. In zu hohen Dosen können sie neurotoxisch wirken, also das Nervensystem schädigen. Anmerkung der Redaktion.
Wie wirkt Aromapflege auf den Menschen?
Aromapflege wirkt auf Körper, Geist und Seele. Genau das ist auch unser Ziel: die Balance zwischen Körper, Geist und Seele zu fördern oder vielleicht sogar wieder herzustellen. Das ist natürlich ein hohes Ziel, aber oft passt es danach wieder besser. Allein wenn man wieder mal ein bisschen Freude hat und wieder lächeln kann, wenn man etwas Schönes riecht.
Es gibt viele Öle, die eine Wirkung sowohl auf den Körper als auch auf die Seele entfalten. Zum Beispiel die Immortelle: Sie löst körperlich Hämatome (Blutergüsse, blaue Flecken) auf und wirkt psychisch ausgleichend. Oder die Zeder, die erdet und ist zugleich gewebsstärkend, und ich gebe sie gerne in ein Öl zur Dekubitusprophylaxe (der Vorbeugung eines Druckgeschwürs, das zum Beispiel durch Bettlägerigkeit und Wundliegen verursacht werden kann, Anmerkung der Redaktion).
Wie setzen Sie die Aromapflege bei Ihrer Arbeit ein?
Ich arbeite unter anderem im Bereich der chronischen, schlecht heilenden Wunden, wenn das Wundmanagement nicht mehr weiterkommt oder der Patient etwas Alternatives ausprobieren möchte. Oder im Schlaflabor mit Patienten, die Nachtbeatmungsgeräte haben. Für sie stelle ich individuelle Nasenöle her, da die Patienten meistens eine ganz trockene Nasenschleimhaut haben.
Im Pflegebereich setze ich entspannende und atemstimulierende Einreibungen ein. Für die Sterbebegleitung habe ich ein sehr schönes „Losslassöl“, das man während eines Gesprächs mit dem Sterbenden bei einer Hand- und Fußmassage anwenden kann. Es enthält mehrere ätherische Öle: Zeder gibt Kraft für den letzten Weg, Rose öffnet das Herz für alles was da kommt. Iris gilt mit den Farben des Regenbogens ebenfalls als Wegbegleiter. Das erzähle ich den Patienten auch. Oft können Menschen, die aus irgendeinem Grund nicht gehen können, dann besser loslassen.
Wie können Sie insbesondere MS-Patienten helfen?
Ich arbeite viel mit neu diagnostizierten MS-Patienten zusammen, zum Beispiel im Bereich des therapeutischen Parfums. Ein solches Parfum wirkt auf Psyche und Seele. Ich stelle dabei mit dem Patienten eine Mischung her, die verschiedene ätherische Öle enthält. Sie kommen aus dem Bereich der Kopfnote, das sind helle und flüchtige Öle, wie Zitrusöle oder Pfefferminzöle – etwas, was direkt da ist aber auch schnell wieder geht. Hinzu kommt ein Teil Herznote, zum Beispiel Rose und Lavendel. Ihr Duft bleibt ein bisschen länger und bewegt. Dann folgen Öle aus der Basisnote, wie Zeder, Weihrauch, Vanille – schwere Öle, die erden.
Welche Wirkung können die ätherischen Öle erzielen?
Wenn Patienten kommen und sagen „ich bin oft so traurig“, dann kommt erstmal die Bergamotte auf den Tisch. Wenn es heißt „ich habe keine Freude mehr“, dann haben wir Grapefruit mit der erfrischenden Kopfnote. Oder Mandarine rot, man sagt die ist wie das Lächeln eines Kindes. Wenn dann kommt „ich habe den Boden unter den Füßen verloren“, dann gibt es die riesige Zeder, die den Halt gibt, wie auch bei dem Loslassöl. Oder bei der Angst vor dem, was da kommt, da ist die Rose richtig oder die Iris als Wegbegleiter. Bei „wohin mit meinen Gedanken?“ würde ich den Weihrauch mit einbringen, der leitet aus. Man kann sich von dem befreien, was man loslassen will. Bei Angst und Unsicherheit, wäre Vanille das richtige. Vanillin ist Bestandteil der Muttermilch und ist in unserem Riechhirn, im limbischen System, festgehalten und gespeichert. Abgespeichert unter der Rubrik Wärme, Geborgenheit, Sicherheit: Das Gefühl, von der Mutter in den Arm genommen zu werden.
Wie wird ein solches Parfum hergestellt?
Die Grundmischung mache ich selbst. Der Patient riecht zwischendurch daran und sagt mir, wie viel noch rein soll in das Parfum. Auf ein Fläschchen mit 10 ml sollten es nicht mehr als 25 Tropfen sein. Dann probiert der Patient das Parfum am Handgelenk aus, schließt die Augen, riecht daran und gibt seinem Parfum einen individuellen Namen. Das hat auch eine psychologische Bedeutung. Ich hatte neulich eine junge Patientin, die einen schweren Schub bekommen hat. Sie war bei mir und wir haben gemischt. Als sie die Augen geschlossen und an der Mischung gerochen hat, da kam so ein Strahlen in ihr Gesicht und sie hat gesagt: Das Parfum heißt „Hoffnung“. Das sind Erlebnisse, die ich unglaublich gerne mit nach Hause nehme.
Wie kann die Aromapflege MS-Patienten auf körperlicher Ebene helfen?
Spastiken beispielsweise kann ich durch eine beruhigende Körpereinreibung positiv beeinflussen. Wenn der Patient entspannt, hat er auch weniger Spastik. Was bei MS-Patienten häufig auftritt, ist die Fatigue. Da empfehle ich eine schöne Fußmassage, mit 10 ml Mandelöl oder Sonnenblumenöl und 6 Tropfen ätherischem Öl von der Zeder. Damit kann sich der Patient eine ausgiebige Fußmassage geben lassen. Danach warme Socken anziehen, ab aufs Sofa und genießen. Ich empfehle dafür gerne ein gutes Buch zum Thema Partnermassage, das hat auch auf die Paare eine positive Wirkung.
Haben Sie noch einen Tipp für den Alltag?
Die meisten MS-Patienten haben eher eine trockene Haut. Patienten, die sich keine teuren Kosmetika leisten können, empfehle ich ein gutes Olivenöl, das nicht so stark riecht. Da einfach eine aufgeritzte Vanilleschote rein geben und 4-6 Wochen ziehen lassen, dabei immer mal wieder schütteln. Wenn man dann die Schote abseiht, hat man ein wunderbar duftendes und preiswertes Hautöl, das man nach dem Duschen auf die feuchte Haut auftragen kann.