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Das war im Januar 2013, als ich auf der Arbeit zusammengebrochen bin. Ich bin Diplom-Betriebswirt, muss viel analysieren und konzentriert arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Stressspirale immer weiter nach oben gedreht. Ich dachte, es bahnt sich ein Burn-out an. Am Vorabend meines Zusammenbruchs habe ich noch ein sehr intensives Training absolviert. Morgens nach dem Aufstehen hatte ich Schwingelgefühle, habe mich aber zusammengerissen und bin mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren. Da hatte ich schon Probleme, das Gleichgewicht zu halten. In der Firma angekommen, hatte ich hämmernde Kopfschmerzen, Herzrasen und bin schließlich zusammengebrochen. Ich hatte dann schon kein Gefühl mehr in der linken Gesichtshälfte und dachte an einen Schlaganfall. Beim MRT im Krankenhaus wurden schließlich Entzündungsherde festgestellt. Es gab noch eine Reihe weiterer Untersuchungen und schließlich etwas später die Diagnose Multiple Sklerose. Zu dem Zeitpunkt wusste ich relativ wenig darüber. Nur, dass es eine nicht gerade angenehme Krankheit ist. Ich war erstmal schockiert. Aber ich dachte mir: Okay, es hätte auch ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt sein können.
Mit einem guten Dutzend Entzündungsherden in meinem Körper war schon früh klar, dass es ein aktiver Verlauf ist. Trotzdem hatte ich lange keine echten Beschwerden. Die liegen eher im feinmotorischen Bereich. Ich kann mich nicht schnell drehen, habe mitunter Probleme mit dem Gleichgewicht.
Meine Ärztin vermutet, dass mich das Ganze zum Zeitpunkt der Diagnose schon über 10 Jahre begleitet hat. Anfang 2000 hatte ich schon einmal einen Zusammenbruch. Leider habe ich keine medizinischen Unterlagen mehr von damals, man kann also nur mutmaßen, dass ich da schon an MS erkrankt war. Dass es so spät herausgekommen ist, hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich sehr früh gelernt habe, auf meinen Körper zu hören. Das Einzige, was mich wirklich ärgert: Dass ich nervlich nicht mehr so belastbar bin. Die Monate vor meinem Zusammenbruch waren eine sehr anstrengende Zeit – sowohl in der Firma, als auch familiär. Hier musste ich wieder ein vernünftiges Maß finden.
Das ist für mich immer schwer zu beantworten. Ich sage dann immer: Ich habe MS und stehe dazu. Trotzdem kann ich ein erfülltes Leben führen und mir geht es gut. Ich kann sogar sagen, dass für mich einige Dinge erst durch die MS möglich wurden. Ich habe mir mehr Träume erfüllen können, seit ich MS habe. Ich traue mich Dinge, die ich mich vorher nicht getraut habe. Ich hätte das vor der Diagnose nie für möglich gehalten, dass ich so manche für mich vorher unüberbrückbaren sportlichen Hürden überwinden kann.
Umgekehrt akzeptiere ich, dass ich manches nicht mehr so gut kann. Wie eben die feinmotorischen Probleme oder die nervliche Belastbarkeit. Sinnbildlich gesprochen war ich früher der, der ins brennende Haus gerannt ist, um die Menschen darin zu retten. Heute bin ich lieber derjenige, der dafür sorgt, dass es gar nicht erst anfängt zu brennen und entsprechende Maßnahmen ergreift. Ich weiß jetzt viel besser, wo meine Grenzen sind. Trotzdem kann ich sagen: Für manche Grenzen, die sich durch die MS geschlossen haben, öffneten sich andere.
Da ist zum einen Sport mit Spaß, der mir wichtig ist. Außerdem der Zuspruch meiner Familie sowie meiner Leser und Leserinnen auf dem Blog triathlon-szene.de , auf dem ich schon vor meiner Diagnose aktiv war. Eine angepasste Ernährung mit zusätzlich Vitamin D. Dann noch Entschleunigung und Entspannung, soweit es mein Job zulässt.
Gerade das mit der nervlichen Belastung ist wahrscheinlich schwer zu verstehen, wenn man bedenkt, welche Distanzen ich bei den Ironman-Wettkämpfen absolviere. Aber das ist für mich etwas anderes. Da weiß ich, ich kann jederzeit aufhören. Da bin ich nicht fremdgesteuert. Es ist meine eigene Entscheidung, wie weit ich gehe und wie schnell. Dabei hilft mir auch eine gewisse Form von Dickköpfigkeit, ins Ziel zu kommen. Bis heute habe ich noch keinen Wettkampf abgebrochen. Auch wenn ich im Nachhinein sagen kann, dass kein einziger auch nur ansatzweise einfach war. Ins Ziel gekommen bin ich trotzdem immer.
Im Job oder Privaten bekomme ich aber wirklich Probleme, wenn etwas oder jemand mich stresst, mich wirklich oder auch nur scheinbar zu sehr unter Druck setzt. Ich brauche einfach zwischendurch meine Pausen, in denen ich mich innerlich wirklich zurückziehen kann.
Ich habe sogar mit recht viel Ehrgeiz Schach gespielt und war darin auch talentierter als im Triathlon. Ich habe aber gemerkt, dass mir das nicht mehr guttut – und zwar bereits drei Monate vor dem Zusammenbruch. Ich scheine instinktiv bemerkt zu haben, dass sich irgendwas anbahnt.
Beim Triathlon geht es hauptsächlich darum, ans Ziel zu kommen, auch wenn man vielleicht etwas langsamer ist. Ich habe danach ein gutes Gefühl. Ein Schachturnier kann mehrere Stunden dauern, in denen man nervlich sehr angespannt ist. Ein Fehler kann die ganze Partie verderben, auch wenn man vorher fünf Stunden lang super gespielt hat. Also: Ein einziger Fehler, und die Partie ist gelaufen, das Turnier ist gelaufen, der Tag und die nächsten Tage gleich mit. Und man ist am Ende frustriert und hat doch eigentlich gar nichts davon. Konzentriert und analytisch denken muss ich außerdem im Beruf schon genug, ich brauche meine Kräfte dort. Um beim Beispiel oben zu bleiben: Ein Schachturnier ist so ein brennendes Haus, in das ich heute nicht mehr rennen würde.
In der Freizeit, wenn kein Druck dahinter ist, spiele ich aber immer noch gerne Schach.
Ich bin ja schon seit Jahren im Forum von triathlon-szene.de aktiv und lese dort viel. Ich wusste schon damals, dass da eine weiterhin sehr aktive Sportlerin dabei ist, die MS hat. Ich habe mir noch im Krankenhaus meinen Laptop bringen lassen und viel nachgelesen. Damals hatten wir uns noch nicht persönlich getroffen, inzwischen kennen wir uns aber sehr gut. Der Kontakt war für mich ein riesiger Trost. Auch wenn ich im ersten Moment nach der Diagnose nicht wusste, was mich eigentlich erwartet, wusste ich, es kann ja doch weitergehen.
Ich bin generell im Forum sehr offen mit meiner Erkrankung umgegangen und habe sehr viel Zuspruch bekommen. Inzwischen kenne ich auch noch weitere MS-Betroffene, die sich bei mir gemeldet haben. Es tut mir sehr gut, wie sich das entwickelt hat.
Ein prägendes Ereignis war ein Marathonlauf, bei dem ich mittendrin einen wirklich bösen Krampf in der linken Wade bekommen habe, der sich später als Zerrung herausstellte. Ich hätte umdrehen oder verkürzen können. Aber irgendetwas hat mich weiterlaufen lassen. Ich dachte, wenn ich jetzt hier aufgebe, werde ich das vielleicht auch bei anderen schwierigen Lebenssituationen tun. Ich bin trotz Schmerzen ins Ziel gekommen und konnte danach zwei Wochen nicht laufen. Arbeiten oder Radfahren waren zum Glück möglich. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich das geschafft habe und mich nicht habe kleinkriegen lassen.
Es macht mir Freude, Menschen zu motivieren, auch mit MS weiter aktiv zu sein. Es ist mir aber besonders wichtig zu sagen, vor allem wenn man meine Geschichte liest: Es muss natürlich kein Ironman sein! Als ich aus dem Krankenhaus kam, habe ich auch erst klein anfangen müssen, bin spazieren gegangen und habe mich dann langsam gesteigert.
Deshalb, egal welche Art der Beeinträchtigung Du hast: Bleib aktiv, egal wie schnell und wie weit, eben nach Deinen Möglichkeiten. Dabei immer ausruhen, wenn es nötig ist, aber bloß nicht hängen lassen. Wenn ich es schaffe, das zu vermitteln, wäre das sehr schön!