Der gelernte BĂĽrokaufmann aus dem Saarland wagte in diesem Jahr einen Neustart und macht zurzeit eine Ausbildung zum Notarfachangestellten. Seine Hauptleidenschaft ist seine Liebe fĂĽr Geschichten. Neben dem Beruf organisiert er deshalb seit 2011 die Buchmesse HomBuch.

Wann wurde bei Ihnen die Diagnose Multiple Sklerose gestellt, und aufgrund welcher Beschwerden wurden Sie untersucht?

Das war im August 2016. Es hat langsam angefangen mit einem Kribbeln in den Fußsohlen – das war ein ganz komisches Gefühl. Als würden die Füße von innen so gegen die Schuhsohlen reiben, dass die Hornhaut immer dicker wird. Ich hatte mir kurz vorher neue Schuhe gekauft und dachte, es muss daran liegen, dass die so eine komische Sohle haben. Ich habe mir Fußsalben und Schuheinlagen und alles Mögliche gekauft und versucht, das in den Griff zu kriegen. Ich gehe generell nicht gern zum Arzt, eigentlich nur, wenn es nicht mehr anders geht.

Es ist aber immer schlimmer geworden und war irgendwann nicht mehr nur auf die Füße begrenzt. Das Kribbeln wurde immer stärker und ist immer weiter hochgewandert: an den Waden entlang über den Bauch und dann bis zur Brusthöhe. Auch die Kräfte ließen nach. Ich war immer schwächer geworden, und irgendwann habe ich alles doppelt gesehen. Ich bin direkt von der Arbeit aus zum Neurologen, der aber nicht da war. Es ist mir an dem Tag gleich mehrmals passiert, dass ich weitergeschickt wurde. Auch beim dritten Neurologen hieß es, ich könne so ohne Termin nicht einfach reinkommen. Ich bin aber hartnäckig geblieben und habe mich nicht mehr wegschicken lassen. Ich habe mich ins Wartezimmer gesetzt und bin dann gegen Abend doch noch zum Arzt reingerufen worden. Der hat dann nur gesagt, dass ich ganz schnell ins Krankenhaus muss. Nach weiteren Untersuchungen stand dann irgendwann die Diagnose fest.

Kam die Diagnose ĂĽberraschend fĂĽr Sie?

Im Prinzip hatte ich schon jahrelang irgendwelche Beschwerden und Symptome, die ich nicht wirklich einordnen konnte. Mir war schon klar, dass irgendwas nicht stimmt. Aber weder ich noch die Ärzte wussten, woher das kam und was das war.

Auch im Krankenhaus habe ich mir keine Gedanken gemacht, dass da irgendwas Schlimmes sein könnte. Ich dachte, man wird mir schon helfen und dann war es das. Dass die Diagnose Multiple Sklerose dabei herauskommt, damit habe ich nicht gerechnet. Aber ich war auch froh, dass ich endlich Gewissheit hatte und wusste, da ist etwas, das man langfristig behandeln kann. Insgesamt hat es wohl so sechs bis sieben Wochen gedauert, bis die Diagnose feststand. Im Rückblick glaube ich, man hätte das früher feststellen können. Auch wenn ich, wie gesagt, überhaupt nicht gern zum Arzt gehe: Ich bin froh, dass ich so hartnäckig war und mich nicht habe wegschicken lassen.

MS ist die Erkrankung der 1000 Gesichter. Welche weiteren Symptome zeigten sich bei Ihnen?

Direkt nach der Diagnose war das mit dem Doppeltsehen ganz schlimm. Trotzdem bin ich dann auch selbst ins Krankenhaus gefahren – dabei habe ich ein Auge zugemacht, damit ich sehen konnte.

Ich wollte aber unbedingt noch meine Buchmesse durchführen. Ich war im Veranstaltungsraum und wollte etwas regeln und bekam einen Krampfanfall. Das ging dann vom linken Fuß hinauf, über den Körper bis hoch in den Kopf. Ich weiß nicht, ob ich da zu aufgewühlt war oder ob es daran lag, dass ich einen Tag vorher mit der Therapie angefangen hatte. Seitdem ist das ein Alarmsignal für mich, dass ich langsamer machen muss.

Man hat die Symptome ja auch nicht immer. Ich habe es immer heftig gemerkt, wenn ich kurz gejoggt, oder besser gesagt in einem leichten Lauf, war. Auch nur bei wirklich sehr kurzen Strecken von ein paar Metern. Da hat sich mein Arm verkrampft, und ich konnte den nicht mehr bewegen. Und nach paar Minuten ging das wieder. Sehstörungen habe ich heute nicht mehr, aber das Kribbeln in den Beinen ist nach wie vor immer da.

Wie hat die Diagnose MS Ihren Alltag verändert?

So richtig greifen kann ich das nicht. Aber spontan würde ich sagen, ich muss mein Leben langsamer und ruhiger leben. Insgesamt gelassener und weniger von Gefühlen beherrscht sein. Denn das kann bei mir Beschwerden auslösen. Wenn ich positiv aufgeregt bin, dann spielt der Körper auch verrückt. Immer wenn ich mich sehr freue oder ärgere, reagiert mein Körper, und es kann sein, dass die Beine versagen. Deshalb muss ich immer darauf achten, dass ich gefühlsmäßig immer auf einem Level bin.

Hoffentlich bessert sich das mal, sodass ich irgendwann damit besser umgehen kann. Aber so werde ich immer versuchen auf einem Level zu bleiben, damit nichts passiert.

Würden Sie also sagen, dass die MS Ihre Wahrnehmung von Gefühlen nachhaltig negativ beeinflusst hat, zum Beispiel Ihre Fähigkeit, sich zu freuen?

Nein, das wĂĽrde ich nicht sagen. Meine Wahrnehmung ist anders: vorsichtiger, aber nicht negativ! Ich gehe zum Beispiel gerne auf Comedy-Veranstaltungen. Vor der ersten Show, die ich nach der Diagnose besucht habe, hatte ich vorher schon Angst, dass ich vielleicht zu viel lache und mich das zu sehr aufwĂĽhlt. Und die ersten zwei Jahre nach der Diagnose waren in der Hinsicht auch sehr schwer. Aber mittlerweile geht es. Ich mache zwar kein Yoga oder so, aber manchmal hilft es schon, zwei- bis dreimal durchzuatmen oder an etwas anderes zu denken.

Welche Strategien haben Sie fĂĽr sich gefunden, sich den Alltag mit MS zu erleichtern?

Ich muss gelegentlich Beruhigungsmittel nehmen, pflanzliche oder stärker bei heftigen Symptomen. Das mache ich so selten wie möglich, aber ab und zu lässt es sich nicht vermeiden, zum Beispiel vor langen Reisen. Die Familie meiner Frau wohnt 500 Kilometer weit entfernt, und jede Reise dorthin, egal ob mit dem Zug oder dem Auto, ist für mich anstrengend. Da haben wir uns aber an die Umstände angepasst. Früher sind wir morgens losgefahren, damit wir noch den Tag vor uns haben. Jetzt machen wir es umgekehrt: Wir versuchen am Abend anzukommen, so dass ich mich erst einmal ausruhen und schlafen legen kann. Am nächsten Tag geht es mir dann wieder besser.

Ansonsten helfen mir viele Ruhephasen, viel ausruhen, an etwas anderes denken. Und vor allem, mich nicht über Kleinigkeiten aufzuregen. Es gibt viel wichtigere Dinge im Leben! Die Wahrnehmung und das Leben an sich haben sich schon verändert.

Außerdem ernähre ich mich bewusster. Ich achte darauf, weniger Zucker und keine Fertigprodukte mehr zu essen. Ich merke, dass mir das hilft und dass es mir schlechter geht, wenn ich Fertiggerichte esse.

Gab es ein Ereignis oder einen Menschen, das oder der Sie besonders inspiriert oder motiviert hat?

Im Prinzip nicht. Ich lasse mich nicht gern von anderen beeinflussen. Ich sehe lieber das große Ganze, nicht die Sicht einer Einzelperson, die ganz automatisch immer eingeschränkt ist. Jeder sagt seine Meinung und was für ihn gut ist, aber das heißt noch lange nicht, dass es auch für mich passt. Man kann sich ja alles anhören, sollte aber immer das herausziehen, was für einen selbst das Beste ist. Ich habe zum Beispiel eine Reha gemacht. Dort habe ich viel zugehört und mir auch einiges abgeschaut. Aber eben nur das, was für mich umsetzbar war, nicht unbedingt, was mir empfohlen wurde.

In diesem Jahr habe ich auf der HomBuch ein sehr beeindruckendes Gespräch geführt. Die Buchausstellung musste dieses Jahr leider ausfallen, aber wir haben einige Lesungen durchgeführt vor kleinem Publikum mit ein paar hochkarätigen Leuten, unter anderem Frau Dr. Yael Adler. Mit ihr hatte ich kurz vorher gesprochen. Ich weiß gar nicht mehr genau, worüber wir geredet haben, nur dass ich innerlich gestärkt und inspiriert aus dem Gespräch rausgegangen bin. Das gab mir so einen Push nach vorne, dass ich noch mehr auf mich achten will. Sie hat mir einfach zugehört, was man ja nicht immer von den Ärzten behaupten kann. Vielleicht war das der Grund, warum ich danach so positiv gestimmt war.

Welche persönliche Empfehlung möchten Sie anderen Betroffenen für den Umgang mit MS geben?

Sowas mache ich ungern, weil jeder anders ist. Was für mich gilt, muss nicht für andere gelten. Aber ich für mich sage: Positiv denken, auch wenn alles schwer fällt erstmal. Man darf sich keinen Druck machen. Nach der Diagnose braucht man eine Eingewöhnungsphase. Für mich waren die ersten zwei Jahre wirklich schwer.

Ich habe aber gedacht, ich habe die Diagnose jetzt, werde aber, wenn es gut läuft, noch viele Jahre leben. Wenn ich jetzt versuche, die Zähne zusammenzubeißen, positiv zu denken und alles möglich zu machen, was geht, damit ich bestmöglich mit der Krankheit leben kann, dann hat sich das schon gelohnt. „MS“ kann man ja auch als Abkürzung für „Motorschiff“ nehmen. Man startet quasi innerlich die „MS-Kreuzfahrt“. Wir Betroffenen sind alle MS-Botschafter. Und ich finde, wir hätten es verdient, dass wir mal eine Kreuzfahrt machen dürfen. Vielleicht passiert das sogar irgendwann.

Mach mit!

Möchtest Du uns und anderen Betroffenen Deine Geschichte erzählen? Dann sende uns eine Direktnachricht bei Facebook oder Instagram.


Wir freuen uns auf Dich!

DE-NONNI-00391, (01/2023)