Zwar tritt sie in den meisten Fällen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr erstmals auf. Dennoch wird bei etwa zehn Prozent der Patienten die Diagnose vor dem 20. Lebensjahr gestellt. Drei bis fünf Prozent aller MS-Patienten erkranken vor dem 17. Lebensjahr. Dann spricht der Arzt von pädiatrischer MS. Ab dem 17. Lebensjahr wird die Erkrankung als juvenile MS bezeichnet.

Vergleicht man den Krankheitsverlauf einer MS bei Erwachsenen mit dem einer Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen, so gibt es deutliche Unterschiede. Das Charakteristische hier: Bei Kindern und Jugendlichen zeigen sich im MRT meist mehr angegriffene Schutzhüllen der Nerven (demyelinisierende Läsionen), zudem haben sie eine fast doppelt so hohe Schubrate wie Erwachsene.

Unterschiedliche Symptome bei Kindern und Jugendlichen

Auch die Beschwerden können bei jungen MS-Patienten anders aussehen als bei Erwachsenen. So treten bei Kindern häufiger verschiedene Symptome, die mehrere Bereiche des Zentralnervensystems betreffen, gleichzeitig auf. Dies kann sich dann beispielsweise durch motorische Störungen und kognitive Probleme äußern. Bei jugendlichen Patienten wiederum zählt eine Entzündung des Sehnervs (Optikusneuritis) zu den häufigen Beschwerden.

Die Symptome gehen nach Abklingen des Schubs bei Kindern und Jugendlichen schneller und zum Teil vollständiger zurück als bei Erwachsenen. Der Grad der Behinderung steigt dadurch langsamer an.Jedoch verschlechtert sich der Zustand bei der Hälfte der Betroffenen etwa 20 Jahre nach Ausbruch der MS zunehmend.

Worauf sollten Eltern achten?

Multiple Sklerose gilt als die Erkrankung der tausend Gesichter. Das besonders Tückische: Vor allem bei Kindern kann die MS lange unbemerkt bleiben. Denn treten die ersten Schübe vor der Pubertät auf, können diese so leicht sein, dass die Kinder sie nicht bemerken oder sie nicht benennen können.

Beobachten Eltern bei ihren Kindern oder pubertierenden Jugendlichen wiederholt folgende Symptome, sollten sie sofort den Kinderarzt aufsuchen:

  • Unsicherer Gang
  • Wieder auftretendes Einnässen/Einkoten (Bei Kindern)
  • Augenbewegungsstörungen
  • Zittern bei zielgerichteten Handlungen (Intentionstremor)
  • Taubheitsgefühle oder Kribbeln in Armen oder Beinen
  • Gleichgewichtsstörungen mit Übelkeit und Erbrechen
  • Konzentrationsstörungen
  • Müdigkeit

Der Kinderarzt wird durch entsprechende Untersuchungen feststellen, ob eine MS vorliegt. Außerdem kann er ausschließen, dass es sich um eine andere Erkrankung handelt, die typischerweise in dem Alter auftreten kann. Zum Beispiel ist die sogenannte Akute Disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) eine der häufigsten Krankheiten, die ähnliche Symptome wie die kindliche MS verursacht.

Wie wird die Diagnose gestellt?

Neben der körperlichen Untersuchung werden zusätzlich zur Bestätigung der Diagnose eine MRT, eine Liquoruntersuchung (Entnahme einer Nervenwasserprobe aus dem Rückenmarkskanal) und Analysen des Blutes durchgeführt. Außerdem werden die Gehirnströme gemessen. Die Einteilung der MS erfolgt wie bei Erwachsenen nach den sogenannten McDonald-Kriterien, eine Beurteilungsskala, um den Grad der Erkrankung zu bestimmen.

Frühestmöglicher Therapiestart

Ziel der Therapie ist es, die Anzahl und Schwere der Schübe zu reduzieren und so das Fortschreiten der Erkrankung. zu verlangsamen.

Wie bei Erwachsenen werden Schübe bei der Therapie von Kindern und Jugendlichen mit Kortison behandelt. Sind die Symptome sehr schwer ausgeprägt oder bessern sich diese nicht unter der Kortisontherapie, wird eine Blutwäsche (Plasmapherese) durchgeführt. Um weiteren Schüben vorzubeugen, wird in der Regel möglichst früh, also sobald die Diagnose MS feststeht, mit einer verlaufsmodifizierenden Therapie begonnen. Diese muss unbedingt konsequent eingehalten werden. Bei Kindern und Jugendlichen werden leichte oder mittelschwere Verlaufsformen der MS mit Medikamenten behandelt, die das Immunsystem beeinflussen. In Deutschland gibt es Medikamente, die für die Behandlung von Kindern ab zwölf und sogar ab zwei Jahren anwendbar sind.

Offen über die Krankheit sprechen

Ist die Diagnose MS gestellt, ist das natürlich erst einmal ein Schock – für die Kinder und Jugendlichen, aber auch für die Eltern. Jetzt ist es wichtig, darüber zu sprechen, um den Patienten die Erkrankung zu erklären und ihnen die Angst zu nehmen. Um Betroffenen den Alltag mit der MS zu erleichtern, sollte in Absprache mit den jungen Patienten auch das Umfeld, also Verwandte, Freunde und Lehrer, darüber informiert werden.

Einfluss auf die Leistungsfähigkeit

Ähnlich wie bei Erwachsenen können die Krankheitsschübe erheblichen Einfluss auf den Alltag der Kinder und Jugendlichen haben. So kann es zum Beispiel vorkommen, dass Schulkinder aufgrund von Müdigkeit und Konzentrationsschwäche dem Unterrichtsstoff nicht mehr folgen können – oder sie durch erhöhte Fehlzeiten viele Unterrichtsstunden versäumen. Als Folge können sich schulische Leistungen verschlechtern. Deshalb ist es für Eltern wichtig, bei Auffälligkeiten schnell zu reagieren und in Zusammenarbeit mit Lehrern, Ärzten und Therapeuten gegebenenfalls geeignete Fördermaßnahmen einzuleiten.

DE-NONNI-00447, 02/2023