Frust statt Lust

Wie paradox, wenn man bedenkt, wie oft Sex in den Medien thematisiert wird und wie selbstverständlich nackte Haut im Fernsehen und auf Werbeplakaten zu sehen ist. Vor allem bei Menschen, die unter sexuellen Störungen leiden, kann das zusätzlichen Stress auslösen. Viele MS-Patienten leiden darunter, dass bei ihnen die schönste Nebensache der Welt eben nicht so einfach funktioniert. Wir finden, es ist höchste Zeit, darüber zu sprechen.

Ein erfülltes Sexualleben gehört für die meisten Menschen zu einer Beziehung dazu – genauso für Patienten, die an Multipler Sklerose erkrankt sind. Kompliziert wird das aber, wenn es aufgrund der Erkrankung zu sexuellen Problemen kommt. Wenn das bei Dir oder Deinem Partner der Fall ist, sei Dir sicher, Du bist damit nicht allein. Studien weisen darauf hin, dass sexuelle Störungen bei männlichen MS-Patienten die Regel sind. Bei den Frauen ist mehr als die Hälfte der Patientinnen von derartigen Problemen betroffen.

Beispiele für sexuelle Störungen:

  • Sexuelle Erregung wird als schmerzhaft empfundenBerührungen werden als schmerzhaft oder unangenehm empfunden
  • Sexuelle Unlust (Libidoverlust)
  • Störung der Erregungsfähigkeit
  • Erektionsstörungen (Erektile Dysfunktion)
  • Verminderung der Orgasmusfähigkeit
  • Scheidentrockenheit

Die Ursachen können körperlich und direkt durch die MS bedingt sein. Manche sind aber auch psychisch begründet und haben somit nur indirekt etwas mit der MS zutun. Meistens sind es verschiedene Ursachen, die zusammentreffen. Zum Beispiel können Entzündungsherde im Gehirn oder Rückenmark zu Muskelschwäche führen, die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt. Allerdings gehören auch Müdigkeit, Fatigue, Spastik, Blasenschwäche und Schmerzen zu typischen MS-Symptomen. Sie lassen die Lust gar nicht erst aufkommen. Zu den körperlichen Symptomen kommt dann das Gefühl der Scham vor dem Partner und vor sich selbst. Oft leidet das Selbstvertrauen, denn der Körper „funktioniert“ ja nicht mehr richtig. Was macht das mit mir als Frau/Mann? Wie kann ich mich dann selbst noch attraktiv finden, geschweige denn mein Partner? Darunter leidet dann häufig nicht nur das Sexleben, sondern auch die Partnerschaft als Ganzes. Außerdem gibt es weitere Faktoren, so wie bei Nicht-MS-Patienten auch, die sich auf die Sexualität auswirken können. Dazu gehören unter anderem Stress, der Konsum von Alkohol, Zigaretten oder Drogen sowie bestimmte Medikamente.

Überwinde Deine Scham

Sexuelle Probleme bei MS lassen sich behandeln. Der erste und wichtigste Schritt ist, offen darüber zu sprechen: mit Deinem Partner und Deinem behandelnden Arzt. Scham ist absolut verständlich, sie sollte aber nicht zwischen Dir und einem erfüllten Sexleben stehen. Sind die Symptome und deren Ursachen geklärt, geht es an die Behandlung. Dazu gibt es je nach Ursache verschiedene Ansätze, die auch kombiniert werden können.

Medikamentöse Behandlung

Werden die Störungen durch MS-Symptome, wie Spastik oder Muskelschwäche, ausgelöst, müssen diese natürlich konsequent behandelt werden. Sprich mit Deinem behandelnden Arzt, welche Therapieform die für Dich individuell richtige ist. Liegt eine Erektionsstörung vor, stehen einige Präparate zur Verfügung, die nach Absprache mit dem Arzt in Tablettenform eingenommen werden können. Nimmst Du bereits regelmäßig Medikamente ein, ist es ratsam, gemeinsam mit dem Arzt zu überprüfen, inwieweit diese Deine Lust beeinflussen und ob sie durch Alternativen ersetzt werden können. Zum Beispiel können sich einige blutdrucksenkende Mittel oder Psychopharmaka negativ auf die Libido auswirken.

Nichtmedikamentöse Therapie

Um sich im eigenen Körper wieder wohlzufühlen und partnerschaftliche Konflikte zu lösen, können Gesprächs- oder Paartherapien sinnvoll sein. Im Gespräch mit dem Therapeuten geht es dann konkret darum, sich den Druck zu nehmen, funktionieren zu müssen. Dafür müssen vor allem erst einmal die eigentlichen Ängste festgestellt und abgebaut werden. Zum Beispiel haben Patientinnen, die MS-bedingt unter einer Blasenschwäche leiden, häufig Angst, dass ihnen während des Sex ein „Unglück“ passiert. Die Scham macht es unmöglich, mit dem Partner über diese Angst zu sprechen. An Zärtlichkeiten ist dann für viele nicht zu denken. Hier könnte es helfen, gemeinsam mit dem Partner zu besprechen, wie beide mit einem solchen „Unglück“ umgehen können, wenn es denn passiert. Allein diese Offenheit kann die Scham nehmen, die Angst auflösen und ein neues Gefühl der Nähe schaffen.

Intimität trotz Fatigue

Ist eine Fatigue der Grund für die sexuelle Unlust, kann ein Fatigue-Tagebuch ein gutes Mittel sein, die Situation besser einzuschätzen. Welche Gegebenheiten haben die Symptome verstärkt? An welchen Tagen geht es Dir gut? Teile diese Informationen mit Deinem Partner. So könnt Ihr gemeinsam beobachten, wann günstige Zeiträume für sexuelle Begegnungen geschaffen werden können.

Egal, welche Behandlungsform für Dich die richtige ist, bedenke immer: Sex ist kein Leistungssport. Er soll Spaß machen, Dich und Deinen Partner erfüllen. Das schaffst Du allerdings nur, wenn Du Dir die nötige Zeit gibst und Dich nicht zu sehr unter Druck setzt.


DE-NONNI-00403, (02/2023)